12.03.2009

Hormone im Mineralwasser

Plastikflaschen nach wissenschaftlicher Studie in der Kritik

Es ist schon seit langem bekannt, daß Plastikflaschen hormonell wirkende Stoffe an die darin enthaltenen Getränke abgeben.1 Die Goethe-Universität Frankfurt hat dies nun in einer Studie bestätigt. Die WissenschaftlerInnen stellten dabei in Mineralwasser aus Plastikflaschen bis zu 75 Nanogramm pro Liter an östrogen-ähnlichen Substanzen fest. Dies sind höhere Werte als im Abwasser von Kläranlagen.

ExpertInnen warnen in Anbetracht der Ergebnisse vor möglichen Schäden für die Gesundheit. Besonders gefährdet seien Schwangere, Säuglinge und Kleinkinder. Die Behörden halten sich allerdings mit Wertungen bislang zurück. Dies ist nicht weiter verwunderlich, da bereits seit rund 15 Jahren - auch in der Ära der "rot-grünen Bundesregierung - auf Druck der Getränke-Lobby mehr und mehr die umweltfreundliche und hygienische Mehrweg-Glasflasche, die nachweislich inert ist und keinerlei Stoffe an ein darin enthaltenes Getränk abgibt, zurückgedrängt wurde.2 Verwechselt werden darf die Glasflasche allerdings nicht mit Leichtgewicht-Verbundflaschen, die aus Glas mit einer Innenbeschichtung aus Kunststoff bestehen.

Gegen die seit Jahrzehnten erprobte Mehrweg-Flasche wurden fadenscheinige interessegeleitete Pseudo-Gutachten ins Feld geführt, die je nach Auftraggeber Tetra-Packs - ebenfalls im Inneren mit Kunststoffbeschichtung - oder auch PET-Kunststoffflaschen als "umweltfreundlicher" im Vergleich zur Mehrweg-Flasche werteten. Auch das Schleppen von "Wasserkästen" über zahlreiche Stockwerke wurde als inhuman gebranntmarkt, während bedenkenlos für das Stemmen erheblich höherer Gewicht im Fitness-Studie freiwillig Geld bezahlt wird.

Nicht einmal mehr ein Drittel des deutschen Mineralwassers wird noch in Mehrweg-Glasflaschen verkauft. Der Anteil der Plastikflaschen liegt bei rund 60 Prozent. Trotz zahlreicher Warnungen vor gesundheitlichen, möglicherweise chronischen Schäden setzten sich die Zulieferer aus der chemischen Industrie, die Interessenverbände und die großen Nahrungsmittelkonzerne über Jahre hin gegen kritische Stimmen durch. Dank der ausführenden HelferInnen in der Politik konnten sie sich auf gesetzliche Grenzwerte berufen.

Die gesetzlichen Grenzwerte beziehen sich jedoch immer nur auf einzelne bekannte chemische Verbindungen. Bei diesem auf Grenzwerten basierenden System kann eine Vielzahl von Chemikalien durch das Raster fallen. Auch Wechselwirkungen oder hormonelle Aktivität können so bislang nicht erfaßt werden. Weder das Bundesamt für Risikobewertung noch das politisch zuständige Bundesverbraucherministerium sahen bislang "Handlungsbedarf".

Die nun vorliegenden Ergebnisse aus der Universität Frankfurt basieren auf einem neuen Forschungsansatz des Forschers Martin Wagner und des Leiters der Ökotoxikologie, Prof. Dr. Oehlmann. Die Ergebnisse ihrer Studie haben die Frankfurter Ökotoxikologen in der angesehenen Fachzeitschrift 'Environmental Science and Pollution Research' veröffentlicht. Bisherige Studien fahndeten nach einzelnen bereits bekannten Schadstoffen. Wagner erklärt den alternativen Ansatz: "Wir suchten nicht einzelne Substanzen, sondern haben gemessen, wie stark die gesamte hormonähnliche Belastung ist." Das Mineralwasser wurde mit einem weltweit etablierten Biotest untersucht, der unter anderem für die Abwasser-Analyse eingesetzt wird.

"Zu Beginn unserer Arbeiten hatten wir nicht erwartet, eine so massive östrogene Kontamination in einem Lebensmittel vorzufinden, das strengen Kontrollen unterliegt. Und was wir so an Aktivität gefunden haben, hat alle Befürchtungen übertroffen," so Wagner. Als besonders kritisch wertet der Forscher: Dieser Test hat gezeigt, daß es "trotz Einhaltung der Grenzwerte zu erheblichen hormonellen Belastungen kommt." Daher müsse das gesamte Bewertungssystem der Behörden überdacht werden.

Als Grund für die hohe Belastung mit Umwelthormonen kommt das sogennante Auslaugen von Plastikadditiven aus den PET-Flaschen in Frage. Zu diesen Plastikadditiven zählen Weichmacher. Ein bekanntes Beispiel ist die Plastikkomponente Bisphenol A, eine östrogenartig wirkende Chemikalie, die aus Polycarbonat-Flaschen - unter anderem also PET-Flaschen - auslaugen und so ins Lebensmittel gelangen kann. "Wenn sich herausstellt, daß das Auslaugen von Endokrinen Disruptoren aus Kunststoffverpackungen ein generelles Phänomen ist, würde dies bedeuten, daß nahezu die gesamte Bandbreite unserer Lebensmittel hormonell belastet ist", sagt Professor Jörg Oehlmann, der das Projekt an der Goethe-Universität leitete.

Das Umweltbundesamt will die Ergebnisse nicht kommentieren, obwohl es die Studie größtenteils finaziert hat. Stattdessen verweist es auf das Bundesamt für Risikobewertung (BfR). Dieses interessiert sich angeblich sehr für die Ergebnisse: "Daß da etwas im Wasser ist, was nicht sein sollte, ist unumstritten", so BfR-Sprecher Jürgen Thier-Kundke. Allerdings werfe die Studie mehr Fragen auf als sie beantworte. "Wir müssen das nun erst einmal überprüfen." So lange sehe er auch keinen "Handlungsbedarf". Die Reaktionen ähneln auffallend denen, die nach der Veröffentlichung der Studie über die Häufung von Kinderkrebs in der Nähe von Atomkraftwerken am 7. Dezember 2007 zu beobachten waren. Der "Handlungsbedarf" wird auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben.

Professor Dr. Ibrahim Chahoud, Mediziner an der Charité in Berlin, gilt als der deutsche Experte auf dem Gebiet der hormonellen Belastung bei Getränken. Er sagt: "Gefahren sehe ich für Risikogruppen." Betroffen seien vor allem Schwangere, Säuglinge oder Kleinkinder. "Für diese würde ich raten: Lieber einen weiten Bogen um Plastikflaschen machen." Bereits frühere Untersuchungen hätten gezeigt, daß Belastungen mit hormonähnlichen Stoffen Entwicklungsstörungen verursachen können. Der Mediziner kritisiert auch die Behörden. "Eigentlich haben sie doch alle dieselbe Aufgabe: Sie sollen dafür sorgen, daß die Bürger vor möglichen Schäden bewahrt werden." Chahoud selbst beschäftigte sich bereits in mehreren Studien mit den Auswirkungen von hormonähnlichen Substanzen auf die Entwicklung und Fortpflanzungssysteme.

Auch Professor Andreas Kortenkamp, Leiter des Zentrums für Toxikologie an der School of Pharmacy, Universität London, ist der Ansicht, daß Kunststoffe als Verpackungsmaterial bei Lebensmitteln nach Möglichkeit vermieden werden sollten. "Wir werden in unserem Alltag mit so vielen hormonell belasteten Stoffen bombardiert, daß wir sie vermeiden sollten, wo wir können." Zudem kritisiert Kortenkamp das bisher gängige Kontrollsystem. "Die Industrie beruft sich immer auf das Einhalten einzelner Grenzwerte." Diese "veraltete Sichtweise" vernachlässige aber die hormonelle Wirksamkeit von Stoffen, vor allem wenn diese gemischt auftreten.

 

REGENBOGEN NACHRICHTEN

 

Anmerkungen

1 Siehe hierzu auch unseren Artikel:

      "Umwelt"-Minister Gabriel macht den Coca-Cola-Vertreter
      in der Schule
      Was hat Coca-Cola wirklich mit Wasser zu tun? (24.04.08)

2 Siehe hierzu auch unseren Artikel:

      Mehrweg-Quote bei Getränkeflaschen sinkt weiter
      "Umwelt"-Minister Gabriel als ökologischer Todesengel (11.01.09)

Siehe auch unsere Artikel zum Thema:

      Skandal: Hormon-Chemie in
      Baby-Nahrung und Kinder-T-Shirts (30.07.07)

      Bayer-Konzern gefährdet Kinder
      Japanische WissenschftlerInnen belasten den Chemie-Multi
      (11.01.05)

      Chemie im Blut von Kindern (30.10.04)

      Gift in Schwimmringen und Badelatschen (29.06.04)

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