ein politischer Kongress des CCC in Köln
Zentrales Thema auf der SigInt 09, dem Kongress des Chaos Computer Clubs (CCC), der vom 22. bis 24. Mai in Köln stattfand, waren Datenschutz und Grundrechte - gerade vor dem Hintergrund des in den Maintream-Medien umjubelten 60. Jahrestages des Grundgesetzes und der BRD1 ein hochpolitisches Thema. Der Protest gegen die geplanten Internet-Sperren2, die Familienministerin Ursula von der Leyen angeblich zur Bekämpfung von Kinderpornographie durchgesetzt will, stand praktisch überall im Raum. Häufig war auf T-Shirts das Konterfei von "Zensursula" von der Leyen zu sehen. Technische Gegenstrategien im Falle einer Verabschiedung des umstrittenen Gesetzesvorhabens wurden ausgetauscht und diskutiert.
Einer der brennenden konkreten Ansatzpunkte aus der Sicht der Computer-NutzerInnen war dabei die enorm hohe und zugleich steigende Zahl von beschlagnahmten Festplatten. Constanze Kurz und Frank Rieger und beklagten eine mangelhafte Umsetzung der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts und forderten eine Verschärfung der Strafprozeßordnung. Immer deutlicher stellt sich heraus, daß es sich bei dem neuen "Grundrecht auf Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme", das mit dem Verfassungsgerichtsurteil vom Februar 2008 geschaffen worden sei, lediglich um eine Chimäre handelt. Rieger, einer der CCC-Sprecher, warf den Ermittlungsbehörden Unverhältnismäßigkeit bei der Beschlagnahmung von Festüplatten vor. In der Entscheidnung des Bundesverfassungsgerichts sei schließlich nicht nur nicht nur die Online-Durchsuchung Einschränkungen unterworfen worden, sondern darüberhinaus seien gewisse Regeln defininiert worden, welche die Auswertung von informationstechnischen Systemen vom Computer übers Telefon bis zum digitalen Hörgerät beträfen. So sei es für die Polizei heute kein Problem mehr, die Daten auf Mobiltelefonen zu sichern, um Kontakte, geführte Gespräche und SMS-Inhalte auszuwerten. "Diese Software ist vorhanden und wird daher extensiv genutzt", erklärte Rieger in Köln. So sei es heute üblich, daß DemonstrantInnen unter dem Verdacht des Landfriedensbruchs festgenommen und ihre Handys während der kurzen Haftdauer ausgewertet würden. Allein 120 Millionen Telefonate wurden im Jahr 2007 abgehört.
Gleichzeitig würden die Behörden die engen Vorgaben bezüglich der Online-Durchsuchung umgehen, indem sie stattdessen die Vorschriften des Telekommunikationsrechts zum Abhören anwenden, um die gleichen Ergebnisse wie bei einer Online-Durchsuchung zu erzielen. "Die Hürden sind hier wesentlich niedriger", sagte Rieger. Dabei verweise das BKA "wider besseren Wissens" darauf, daß Dienste wie Skype nicht abhörbar seien, erklärte Rieger.
Constanze Kurz wies darauf hin, daß in dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts ebenfalls Vorgaben für die Beschlagnahme und Auswertung von Festplatten enthalten seien. "Dies ist aber noch nicht in der Rechts-Realität angekommen". So gehörten Durchsuchungen heute fast zum alltäglichen Risiko. In Berlin dauere die Auswertung der enormen Menge beschlagnahmter Datenträger inzwischen bis zu zwei Jahren. Und Rieger ergänzte: "In unserem Umfeld werden diese Beschlagnahmen deshalb als präemptive Bestrafung empfunden."
Der CCC kritisiert auch die Qualität der Auswertung: Dabei übernähmen nicht die Behörden selbst den Großteil der Auswertungsarbeit, sondern setzten auf externe Dienstleister. "In manchen Bundesländern reicht dazu schon ein polizeiliches Führungszeugnis", empörte sich Kurz. So existiere keine durchgehende Dokumentation der Zugriffe auf die Festplatte, die Gutachter arbeiteten direkt auf den beschlagnahmten Platten. "Da geht auch gerne etwas verloren", sagte Rieger. Trotzdem würden die Ermittler unvermindert neue Computer beschlagnahmen. So seien allein bei der Aktion "Himmel" 17.000 Datenträger und über 250 Computer und Festplatten beschlagnahmt worden. Ein Strafverfolger habe gegenüber dem CCC den "irren Verwaltungsaufwand" beklagt, der aber kaum Ergebnisse zu Tage förderte, nur in "einigen Fällen" werde weiter ermittelt. Solche Fehlschläge würden aber nicht kommuniziert. So hatte sich der Bundestagsabgeordnete Jörg Tauss bei der Bundesregierung nach den Ergebnissen der großen Durchsuchungsaktionen der vergangenen Jahren erkundigt, aus dem Bundesfamilienministerium aber nur erfahren, daß dazu keine Erkenntnisse vorlägen.
Kurz kritisierte, daß das Bundesverfassungsgericht immer wieder Durchsuchungsbeschlüsse einkassieren müsse, die wegen nichtiger Anlässe wie etwa einem Parkverstoß oder ohne vorherige Ermittlungen erlassen wurden. "Wir sind allen dankbar, die ihre Fälle trotz erheblicher Kosten bis zum obersten Gericht durchfechten", sagte Kurz. Grund für die Misere seien unter anderem organisatorische Mängel. So bliebe RichterInnen in Baden-Württemberg durchschnittlich 36 Minuten zur Prüfung eines Durchsuchungsbeschlusses, in Bayern seien es gar nur zwei Minuten. Die Strafprozeßordnung müsse verschärft werden, damit solche Durchsuchungen und Beschlagnahmen nur bei schweren Straftaten und überragend wichtigen Rechtsgütern möglich seien.
Anwalt und Law-Blogger Udo Vetter argumentierte pointiert gegen ErmittlerInnen, die mit Internet-Ausdrucken als Beweismittel arbeiten wollen und RichterInnen, die entgegen anderslautender Rechtsprechung immer wieder fadenscheinige Hausdurchsuchungen anordnen. Vetter fordert zudem ein Verwertungsverbot für illegal erlangte Beweise. Nur so könne gewährleistet werden, daß der laxe Umgang mit Hausdurchsuchungen endlich Folgen für die Behörden habe.
Ein Sprecher der Whistleblower-Seite wikileaks.de berichtete über die versuchten und teilweise mißlungenen Repressionen gegen die Seite und vermittelte so ein Bild, das die Bedrohung der Informationsfreiheit im Internet plausibel erscheinen läßt.
Praktische Tips waren wie immer auf den CCC-Kongressen gefragt. So ist es durchaus möglich, die Festplatte einen PC so zu verschlüsseln, daß die Behörden keine Freude daran haben werden. Unverblümt wurde angesichts der überhandnehmenden Beschlagnahmungspraxis geraten, gegenüber den Behörden durchweg alles anzuzweifeln, weil diese häufig wenig sorgfältig mit den beschlagnahmten Datenspeichern umgingen, und unbedingt Backups der Festplatte außerhalb der eigenen Wohnung zu deponieren.
Ein tiefes Mißtrauen gegen die Datengier der "schwarz-roten" Bundesregierung, als deren Protagonisten vor allem Innenminister Wolfgang Schäuble und Familienministerin Ursula von der Leyen gelten, prägte den Kongress. Kennzeichnend hierfür ist, daß vor allem die Vorträge zu Rechtsfragen gut besucht waren.
Die Schwerpunkte des Kongresses waren drei Schwerpunkten zugeordnet: "Control and Surveillance", "Bugs, Pranks and Insecurities" und "The Future of Everything". Geboten wurden neben Vorträgen und Workshops auch Diskussionsrunden mit renommierten ExpertInnen. Die Themenvielfalt ist durch die Stichworte Privacy und Datenschutz, Internetzensur, Piracy, Urheberrechte und Alternative Vergütungsmodelle, Computerspiele und Gesellschaft, Vorratsdatenspeicherung, Open Government und aktuelle Rechtsfragen im Internet nur ansatzweise wiederzugeben.
Zum Abschluß des Kongresses stellte CCC-Sprecher Andy Müller-Maguhn ein Konzept vor, das der "schwarz-roten" Bundesregierung einen Ausweg bietet, das umstrittene Gesetzesvorhaben zu Internet-Sperren zurückzuziehen und zugleich das Gesicht zu wahren: Die VolksvertreterInnen sollen demnach ein verschärftes Vorgehen gegen die Betreiber kinderpornographischer Seiten und die strengere Strafverfolgung der eigentlichen Täter beschließen. "Es hilft nichts, Sichtblockaden gegen Kinderpornographie im Internet aufzustellen", faßte Müller-Maguhn das Fazit der vorausgegangenen Diskussionen zusammen. Stattdessen müsse das Problem direkt an der Wurzel bekämpft werden. Um die "Einmischung der Politik in das Internet" durch das Aufsetzen einer beliebig verwendbaren Zensurinfrastruktur noch zu verhindern, habe der CCC daher seine "Hemmschwelle" überwunden und werde nun das Gespräch mit den Parteien im Umfeld der parlamentarischen Beratung des entsprechenden Regierungsentwurfs suchen.
REGENBOGEN NACHRICHTEN
Anmerkungen
1 Siehe hierzu auch unseren Artikel:
60 Jahre Unrechts-Staat BRD (23.05.09)
2 Siehe hierzu auch unsere Artikel:
Gegen politische Zensur des Internets
Online-Petition gegen Internetsperre
am ersten Tag mehr als 16.000 UnterzeichnerInnen (5.05.09)
Mit Stop-Schild gegen Kinderpornos?
Arbeitskreis gegen Internetsperren und Zensur gegründet (17.04.09)
Aufstehn für ein freies Internet
CCC will "Zensursula" besuchen (16.04.09)
Easterhegg des CCC in Hamburg
Ein Treffen nicht nur für Computerfreaks (13.04.09)
wikileaks.de gesperrt
Beginn der Internet-Zensur in Deutschland? (11.04.09)
Greenpeace in Frankreich bespitzelt
Kam der Auftrag von EdF? (1.04.09)
Hausdurchsuchung bei Inhaber der Domain wikileaks.de
Aktionismus gegen Kinderpornographie
als Vorwand für politische Zensur (25.03.09)
Ohne V-Leute würde NPD zusammenbrechen
Baden-Württembergs Innenminister Rech plaudert (8.03.09)
Bundesverfassungsgericht stoppt Wahl-Computer
Die Manipulierbarkeit von elektronischen Speichersystemen,
'Wikipedia' und Internet-Umfragen (3.03.09)
Aktionismus gegen Kinderpornographie
zielt auf Zensur des Internets
Im Visier ist das letzte Kommunikationsfeld
für freie linke Nachrichten (1.02.09)
Schweizer Atomwaffen-Skandal
Zehn Millionen Dollar von der CIA
Regierungs-Akten beseitigt (26.08.08)
Neues "Verbraucherinformationsgesetz"
ist eine Farce (29.07.08)
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