Die für die Atomkraftwerke zuständige "rote" schleswig-holsteinische Ministerin Gitta Trauernicht hat im Juni trotz eklatanter Defizite in der Abarbeitung der Mängelliste das Hochfahren des AKW Krümmel nach 23 Monaten Stillstand zugelassen. Dies geht aus Dokumenten, vertraulichen Unterlagen und Gutachten hervor, die der 'spiegel' in einer aktuellen Veröffentlichung aufgedeckt hat. Auch Bundes-Atom-Minister Sigmar Gabriel schwieg zu diesem Zeitpunkt und ließ die Parteifreundin gewähren.
In einer Mängelliste, die 2007 nach dem beinahe-GAU des AKW Krümmel erstellt worden war, ist von Organisationsdefiziten, mangelnder Lernbereitschaft und von einer Mißachtung des Betriebshandbuchs die Rede. Allerdings darf hierbei nicht ausgeblendet werden, daß möglicherweise erst die Mißachtung der Betriebshandbuchs in der kritischen und chaotischen Situation des 28. Juni 2007 es ermöglicht hat, daß das Schlimmste verhütet werden konnte. Doch obwohl die Mängelliste im Auftrag des Trauernicht-Ministeriums erstellt worden war, und die in einem Katalog aufgelisteten Maßnahmen vom Betreiber-Konzern Vattenfall "gemessen an den vorliegenden Erkenntnissen, unvollständig" umgesetzt worden waren, gab die Ministerin am 19. Juni 2009 dem Drängen des Konzerns nach.
So geht aus dem vom 'spiegel' aufgedeckten Material hervor, daß im AKW Krümmel kein "funktionsfähiges Sicherheitsmanagementsystem" existiert. Der Betreiber sollte dem Trauernicht-Ministerium umgehend ein Konzept für dessen "zeitnahe Implementierung" vorlegen. Noch vor dem Wiederanfahren der Anlage müsse "belastbar gezeigt werden, daß der Aufbau" eines Sicherheitsmanagementsystems zumindest angegangen werde. Ein wichtiger Baustein eines solchen Systems ist die korrekte Benutzung des Betriebshandbuchs.
Der Blick ins Betriebshandbuch - das hatte das Kommunikationschaos im AKW Krümmel am 28. Juni 2007 gezeigt - gelte bei der Betriebsmannschaft offenbar nur als unverbindliche Empfehlung, schreibt der 'spiegel' weiter. Weiter geht aus dem vom 'spiegel' aufgedeckten Material hervor, daß eine "vom Kernkraftwerk Krümmel vorgeschlagene Anweisung (...) unklar" sei.
Am 24. Juni ging das AKW dennoch wieder ans Netz - jedoch nur für knapp eine Woche. Denn bereits am 1. Juli mußte der Reaktor wegen eines "technischen Fehlers" wieder heruntergefahren werden. Das selbe Spiel wiederholte sich mit einem erneuten Hochfahren und einer automatischen Schnellabschaltung in den darauf folgenden drei Tagen. Offenbar aus wahltaktischem Kalkül soll auf weitere Versuche bis zum 27. September verzichtet werden.
REGENBOGEN NACHRICHTEN
Anmerkungen
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