Das schon bislang nicht datenschutz-kompatible Meldegesetz wurde am 28. Juni im Bundestag per Novellierung an aktuelle Profit-Interessen angepaßt. Das Parlament war nur rudimentär besetzt. Als der Streich nun publik wurde, distanzierten sich alle.
Handstreichartig sollte das Melde- gesetz im Bundestag so angepaßt werden, daß die Meldedaten der BundesbürgerInnen noch leichter und en gros der Wirtschaft zum Kauf angeboten werden dürfen. "Schwarz-Rot-Grün-Gelb" schiebt sich nun gegenseitig die Schuld zu und freut sich nebenbei, daß auch die sogenannte "Linke" im Bundestag sich still verhielt und lediglich dagegen stimmte. Deren Abgeordnete Petra Pau rief sogar als Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages vor fast leerem Plenarsaal klaglos die entsprechenden Tagesordnungspunkte auf. Offenbar hatte es die Mehrheit der Bundestagsabgeordneten - möglicher Weise, weil die kläglichen Diäten so wenig motivieren - vorgezogen, sich den Wonnen eine Fußballspiels hinzugeben.
Zunächst war im Entwurf der Novelle des Meldegesetzes eine gewisse Hürde eingebaut: Die Daten der BürgerInnen sollten nur mit ausdrücklicher Einwilligung verkauft werden dürfen. Im Innenausschuß des Bundestages, dem beispielsweise auch die Abgeordneten der "Linkspartei" Petra Pau und Ulla Jelpke angehören, wurde dies jedoch aufgeweicht und stattdessen die Regelung eingebaut, daß die BürgerInnen der Weitergabe ihrer Daten aktiv widersprechen müssen. Die politische Erfahrung lehrt, daß von einer solchen Regelung nur eine Minderheit informierter BürgerInnen Gebrauch macht. Vielen Deutschen ist gar nicht bewußt, daß die Meldeämter ihre Daten ungefragt weitergeben dürfen. Dabei geht es nicht allein um Namen und zugehörige Adressen, sondern auch um Geburtstage und frühere Namen. Profitieren würde von einer erleichterten Datenweitergabe nicht nur die Wirtschaft, sondern auch der Staat. Denn die Ämter dürfen für die Weitergabe der Daten Gebühren erheben.
Die Meldepflicht wurde übrigens in Deutschland erst in den Jahren der Nazi-Herrschaft eingeführt. In den USA widerspräche eine solche Reglementierung dem dortigen Verständnis von Freiheit. "Da der Staat eine Meldepflicht der Bürger gesetzlich verankert hat, sind die Behörden im Gegenzug verpflichtet, mit diesen zwangsweise erhobenen Daten sorgfältig umzugehen. Diese Sorgfaltspflicht wurde wirtschaftlichen Interessen der Werbetreibenden geopfert. Dies ist ein weiterer Datenskandal erster Ordnung," kommentiert Markus Barendorff, stellvertretender Vorsitzender der Piratenpartei, den verpatzten Schnellschuß vom 28. Juni. "Da das Recht auf informationelle Selbstbestimmung verletzt wird, und der Staat mit diesem Gesetz gegen seine Sorgfaltspflicht aus Gröbste verstößt, stellt sich die Frage, ob die Verfassungskonformität überhaupt noch gegeben ist. Das Gesetz zur »Fortentwicklung des Meldewesens« ist ein einziger Rückschritt," so Barendorff. Die Piratenpartei spricht sich in ihrem Grundsatzprogramm generell gegen die Weitergabe personenbezogener Daten vom Staat an die Privatwirtschaft aus.
Gegen den ursprünglichen Entwurf vom 16. November 2011 waren Inkasso- und Adressdienst-Unternehmen Sturm gelaufen, woraufhin der Innenausschuß eine inhaltliche Kehrtwende vollführte: Grundsätzlich soll nun jede Weitergabe von Meldedaten für Werbung und Adresshandel erlaubt sein, sofern ihr nicht zuvor explizit widersprochen wurde. Doch selbst dieser Widerspruch nützt nichts, wenn die Daten - wie es in dem am 28. Juni beschlossenen Gesetzestext heißt - "ausschließlich zur Bestätigung oder Berichtigung bereits vorhandener Daten verwendet werden". Jede Firma, die Daten von Personen erfaßt hat, kann sich also diese Daten vom Einwohnermeldeamt bestätigen oder berichtigen lassen, egal ob ein Widerspruch der Betroffenen vorliegt oder nicht.
"Gesetzlicher Wahnsinn" ist dies nach Ansicht von Thilo Weichert, dem Leiter des unabhängigen Landeszentrums für Datenschutz in Schleswig-Holstein. Konkret geht es um die Paragraphen des Meldegesetzes, die die "Melderegisterauskunft" regeln. Doch schon in der bislang gültige Fassung konnte von Datenschutz kaum die Rede sein.*
Auch Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, gelbe Justizministerin im Kabinett Merkel, hat bei der Verabschiedung des Meldegesetzes keinen Mucks von sich gegeben - oder war der "Engel des Datenschutzes" etwa auch tagelang mit dem Fußballspiel "Deutschland" gegen "Italien" (28. Juni) beschäftigt?
Anmerkungen
* Hier die einschlägigen Sätze aus der bislang gültigen Fassung:
"§ 21 Melderegisterauskunft
(1) Personen, die nicht Betroffene sind, und anderen als den in § 18 Abs. 1 bezeichneten Stellen darf die Meldebehörde nur Auskunft über Vor- und Familiennamen, Doktorgrad und Anschriften einzelner bestimmter Einwohner übermitteln (einfache Melderegisterauskunft). Dies gilt auch, wenn jemand Auskunft über Daten einer Vielzahl namentlich bezeichneter Einwohner begehrt.
(2) Soweit jemand ein berechtigtes Interesse glaubhaft macht, darf ihm zusätzlich zu den in Absatz 1 Satz 1 genannten Daten eines einzelnen bestimmten Einwohners eine erweiterte Melderegisterauskunft erteilt werden über
1. Tag und Ort der Geburt,
2. frühere Vor- und Familiennamen,
3. Familienstand, beschränkt auf die Angabe, ob verheiratet oder nicht,
4. Staatsangehörigkeiten,
5. frühere Anschriften,
6. Tag des Ein- und Auszugs,
7. gesetzlichen Vertreter,
8. Sterbetag und -ort.
Die Meldebehörde hat den Betroffenen über die Erteilung einer erweiterten Melderegisterauskunft unter Angabe des Datenempfängers unverzüglich zu unterrichten; dies gilt nicht, wenn der Datenempfänger ein rechtliches Interesse, insbesondere zur Geltendmachung von Rechtsansprüchen, glaubhaft gemacht hat.
(3) Melderegisterauskunft über eine Vielzahl nicht namentlich bezeichneter Einwohner (Gruppenauskunft) darf nur erteilt werden, soweit sie im öffentlichen Interesse liegt. Durch Landesrecht ist zu bestimmen, welche Daten für die Zusammensetzung der Personengruppe herangezogen und welche mitgeteilt werden dürfen.
(4) Bei Melderegisterauskünften nach den Absätzen 2 und 3 darf der Empfänger die Daten nur für den Zweck verwenden, zu dessen Erfüllung sie ihm übermittelt wurden.
(5) Jede Melderegisterauskunft ist unzulässig, wenn der Betroffene der Meldebehörde das Vorliegen von Tatsachen glaubhaft gemacht hat, die die Annahme rechtfertigen, daß ihm oder einer anderen Person hieraus eine Gefahr für Leben, Gesundheit, persönliche Freiheit oder ähnliche schutzwürdige Belange erwachsen kann.
(6) Soweit der Betroffene ein berechtigtes Interesse nachweist, kann er verlangen, daß die Meldebehörde die erweiterte Melderegisterauskunft nach Absatz 2 über seine Person verweigert; durch Landesrecht kann bestimmt werden, daß diese Auskunftssperre nur befristet gilt.
(7) Die Melderegisterauskunft ist ferner unzulässig,
1. soweit die Einsicht in einen Eintrag im Geburten- oder Familienbuch nach § 61 Abs. 2 bis 4 des Personenstandsgesetzes nicht gestattet werden darf,
2. in den Fällen des § 1758 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs.
(8) Die Absätze 1 bis 7 gelten auch für öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten, soweit sie publizistische Tätigkeiten ausüben.
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