Berlin (LiZ). Die ärztliche Friedensorganisation IPPNW weist aufgrund der angedrohten Kündigung des INF-Vertrages auf die Gefahr eines neuen atomaren Wettrüstens zwischen den USA und Rußland hin. Der INF-Vertrag, der 1987 geschlossen wurde, regelte die Vernichtung der atomaren Mittelstreckenraketen in Europa. Er ist laut IPPNW "einer der wichtigsten Pfeiler der europäischen Sicherheitsarchitektur".
"Noch haben die USA den INF-Vertrag nicht gekündigt. Es gibt ein kurzes Zeitfenster, in dem die Bundesregierung vermitteln könnte und müßte, denn es geht um die Sicherheit Europas," erklärt Dr. med. Alex Rosen, Vorsitzender der IPPNW. Eine Neuverhandlung des INF-Vertrags könne dann eine Chance sein – wenn Verhandlungen über einen allgemeinen Rüstungsbegrenzungs-Vertrag neben Russland und den USA weitere Staaten wie China einbeziehen und alle Abschuß- sowie Raketenabwehr-Systeme umfassen würden.
Die nukleare Abschreckung als Mittel zur Sicherheit birgt immer die Gefahr, daß es zu Eskalations-Spiralen und schließlich zum Einsatz von Atomwaffen kommt. Nach wie vor birgt das Arsenal von weltweit mehr als 15.000 einsatzbereiter Atomsprengköpfen das Risiko eines Atomkriegs aus Versehen. Laut Michail Gorbatschow, der 1987 den INF-Vertrag mit US-Präsident Ronald Reagan schloß, reicht dieses atomare Potential aus, um die Erde 70 Mal zu vernichten. Und Gorbatschow sagt auch ganz offen, daß es schon mindestens drei Mal nur ganz knapp nicht zum Atom-Krieg kam und die Menschheit dabei nur einen Hauch von ihrer Selbstvernichtung entfernt war.
IPPNW mahnt, daß es deswegen auch so wichtig sei, daß alle Staaten ihre Verpflichtungen aus Artikel VI des Atomwaffen-Nichtverbreitungs-Vertrages erfüllen. Diese Verpflichtungen beinhalten ein Ende des Wettrüstens und die Abschaffung aller Atomwaffen. Der Atomwaffen-Verbots-Vertrag (TPNW), dem 122 der 193 UN-Mitgliedsstaaten am 7. Juli 2017 zustimmten, ist auf der UN-Generalversammlung im September 2017 zunächst von 53 Staaten unterzeichnet worden. Bis April 2019 hatten 70 Staaten unterzeichnet und 23 Staaten – darunter Österreich – den Vertrag ratifiziert.
Da der TPNW-Vertrag nach Ansicht der IPPNW vor dem Hintergrund der drohenden atomaren Aufrüstung im europäischen und damit auch im deutschen Sicherheitsinteresse sei, fordert die ÄrtzInnen-Organisation die Bundesregierung erneut auf, diesem Abkommen beizutreten. Dies wäre ein wichtiges Signal an die USA und Rußland. Die Friedensorganisation kritisiert, daß deutsche Bundeswehrsoldaten in Büchel regelmäßig den Einsatz atomarer Massenvernichtungswaffen üben. Entgegen einem Bundestags-Beschluß vom 26. März 2010 sind im Fliegerhorst Büchel nach wie vor US-amerikanische Atombomben stationiert.
"Die Ankündigung von Donald Trump aus dem INF-Vertrag auszusteigen ist ein Zeichen, daß die Beziehung zwischen den USA und Rußland wieder an einem Tiefpunkt angekommen sind. An dieser Situation haben sowohl Rußland als auch die USA ihren Anteil. Beide werfen sich gegenseitig den Bruch des Vertrags vor. Die kürzlichen Aufrüstungsschritte beider Seiten, vor allem die Entwicklung von Mittelstrecken-Marschflugkörpern, aber auch die russische Stationierung von Kurzstreckenraketen in Kaliningrad und der Aufbau eines Raketenabwehrsystems durch die USA in Rumänien und Polen widersprechen aus Sicht der IPPNW definitiv dem Geist des INF-Abkommens, auch wenn bis heute keine stichhaltigen Beweise für einen tatsächlichen Vertragsbruch vorliegen," so Rosen.
Der große Verlierer der neuen Ost-West-Konfrontation könnte Europa sein, fürchtet IPPNW. Vor dem Abschluß des INF-Vertrages vor 30 Jahren gab es ein unkontrolliertes Wettrüsten zwischen den Großmächten. Wäre damals durch Absicht oder einen Fehler ein Atomkrieg ausgebrochen, wäre Europa als erstes ausgelöscht worden. Mit der Kündigung des Vertrages durch die USA droht ein Rückfall in die Zeiten des Kalten Krieges. Schon heute spricht die US-Regierung von einer Stationierung neuer US-Atomwaffen in Europa, worauf Rußland voraussichtlich mit eigenen Stationierungen reagieren würde. "Wir fürchten ein unkontrolliertes Wettrüsten," erklärt die IPPNW-Abrüstungs-Expertin Xanthe Hall. "Da sowohl die USA als auch Rußland viel Geld in die Modernisierung ihrer Atomwaffen-Arsenale gesteckt haben, wollen sie diese Systeme auch zur Geltung bringen. Rüstungskontroll-Verträge stehen einem Wettrüsten im Wege. Wir brauchen aber nicht weniger, sondern mehr internationale Abrüstungsverträge," so Xanthe Hall.
Anmerkungen
Siehe auch unsere Artikel:
Klage gegen Macron wegen Atombomben-Tests
Erhöhte Krebs-Rate in Polynesien (9.10.18)
"EURATOM auflösen!"
Global 2000 lobt Österreichs Regierung (3.09.18)
AKW-Projekt Hinkley Point C
EU-Gerichtshof weist Österreichs Klage ab (12.07.18)
Atombomben-Abwurf durch Eurofighter
statt durch Tornado? (22.06.18)
Neue russische Atomwaffen als Antwort
auf atomare Aufrüstung der USA
Rede Putins zur Lage der Nation (1.03.18)
Hawaii: Atomwaffen-Alarm stellt
sich als Versehen heraus (14.01.18)
Friedensnobelpreis an ICAN
Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen geehrt
(11.12.17)
Konstantin Wecker in Büchel
Konzert am Atombomben-Standort (15.07.17)
300.000 auf Friedens-Demo in London
gegen Modernisierung der Atombomben (27.02.16)
Mahnwachen zum 70. Jahrestag
des Abwurfs der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki
(6.08.15)
3000 auf Ostermarsch in Glasgow
gegen die britische Atombombe (4.04.15)
Netanjahu warnt vor Atom-Abkommen mit Iran
Israelischer Wahlkampf im US-Kongress (4.03.15)
Commerzbank finanziert Atomwaffen
Protestaktion von der Freiburger Filiale (30.09.14)
IPPNW unterstützt
Klage gegen Atomwaffen-Staaten in Den Haag (29.08.14)
Das Gesicht eines Mörders
(6.08.14)
Neue Atombomben für Deutschland
Bundesregierung untätig (27.05.14)
Atombombe wird zur Lenkwaffe
Neue Entwicklung entgegen Abrüstungs-Vereinbarungen
(4.11.13)
Bombengeschäfte mit der A-Bombe
Deutsche Bank vorne mit dabei (10.10.13)
Bei einem Absturz 1961 in North Carolina
entgingen die USA nur knapp einer Nuklear-Katastrophe
(21.09.13)
Atomwaffen-Standort Büchel
Blockade, Aktions-Camp und Musik (12.08.13)
Horror-Clown mit Atombombe
Politisches Straßentheater in Freiburg (6.08.13)
Iran und USA weisen einträchtig
Gerücht über Explosion in Fordo zurück (28.01.13)
Schauspieler Michael Douglas appelliert:
Baldige Vertragsunterzeichnung gegen Atomwaffen (4.12.11)
Atombombe und Wahnsinn
"..., weil sie das Leben nicht lieben" (Erich Fromm) (6.08.11)
Sarkozy und die Atombombe
für Gaddafi (23.02.11)
Streit der atomaren Irren
Neue Sanktionen gegen den Iran (9.06.10)
Atom-Deal der Irren aus der zweiten Reihe
Ausweg für den Iran? (17.05.10)
Abrüsten durch Aufrüsten?
Obama gibt 80 Milliarden US-Dollar für Atomwaffen (15.05.10)
Die Gefahr einer iranischen Atombombe
Die IAEA und dubiose Geheimdienst-Dossiers (19.02.10)
Verbrecherische Menschenversuche
bei französischen Atombomben-Tests (17.02.10)
Westen reagiert auf Verhandlungsangebot des Iran
mit verschärften Drohungen (9.02.10)
Ahmadinedschad kompromißbereit
Lösung im Streit um Uran-Anreicherung? (3.02.10)
Blackout in Brasilien
"Das sicherste Stromnetz der Welt" und die Atombombe (11.11.09)
Sind Kernwaffen notwendig?
Rede von Lee Butler, 1999 (14.01.02)
Atombomben
in Deutschland (12.03.01)
Siehe auch unseren Hintergrund-Artikel:
Der siamesische Zwilling: Atombombe
Info-Serie Atomenergie - Folge 4