1.12.2004

Horno
Energie-Konzern sprengt Kirche

Vattenfall setzt Zerstörungswerk fort

Daß der Energie-Konzern bar jeder Skrupel sein Werk der Zerstörung in der Lausitz1 Schritt um Schritt vorantreibt, wird zwar in den Massenmedien fast völlig ausgeblendet. Die Sprengung der Kirche in Horno, einem für den Braunkohle-Abbau bereits weitgehend zerstörten Dorf, hat jedoch wegen der Symbolkraft einige Kamera-Teams vor Ort gelockt. Daß mit der Zerstörung der Lausitzer Teichlandschaft auch eines der letzten Habitate der vom Aussterben bedrohten seltenen Rotbauchunke bedroht ist, fand nicht das Interesse der Medien-VertreterInnen.

Am Montag, 29. November 2004, stellten sich einige Fotografen bereits gegen acht Uhr morgens mitten in Horno auf. Sofort rückten Mitglieder eines privaten Wachdienstes im Auftrag des Energie-Konzerns Vattenfall an, um zu verkünden, daß der Konzern ein "Filmverbot verhängt" habe. Die Fotografen protestieren. Ihnen wird angedroht: "Sobald ihr die Kameras aufbaut, sind die Bullen da." Vattenfall ist neben RWE, E.on und EnBW einer der vier den deutschen Strommarkt beherrschenden Energie-Multis. Und der Konzern mag nicht dulden, daß Bilder oder Nachrichten der symbolträchtigen und sicherlich spektakulären Sprengung der 500 Jahre alten Feldsteinkirche als Negativ-Werbung an die Öffentlichkeit dringen.

Seit Monaten läßt Vattenfall das kleine Dorf Horno ebenso wie auch Lacoma Stück um Stück abreißen. Doch sowohl in Horno als auch in Lacoma harren noch Menschen aus und leisten dem Goliath Widerstand. In Horno ist das Haus gegenüber der Feldsteinkirche noch bewohnt und Fotografen ziehen sich dorthin zurück. Hier leben noch immer Werner und Ursula Domain. Sie hat heute 65. Geburtstag und bangt, ob etwa gerade dieser Tag für die Sprengung vorgesehen ist.

Der Vattenfall-Konzern, der sonst gern zu jedem Abriß alter Tagebauanlagen JournalistInnen herbeiruft, hält den Termin geheim. Aber irgend eine Information ist durchgesickert. Doch bereits vor einer Woche hatte es geheißen, nun werde die Kirche gesprengt. Nachdem sich nichts rührte, wurde vermutet, daß es sich nur um eine Finte handelte. Auch diesmal dementiert Vattenfall, daß etwas passieren wird. Der Wachdienst gibt sich unwissend, vertreibt aber alle, die sich auf dem Firmengelände aufhalten - und Firmengelände ist alles hier, außer das Haus der Domains.

Das Dorf war einst 1,6 Kilometer lang, Häuser und Gärten reihten sich aneinander. Nun sieht es hier aus wie nach einem Bombenangriff. Nur Hügel und Löcher, Ziegelhaufen und Balken. Mittendrin die Kirche, ganz allein, alle Häuser ringsum sind abgetragen, in die letzten fressen sich die Greifer der Bagger. "Es lebt sich hier wie im Krieg", sagt Werner Domain. Auf der Straße vor ihm donnert ein Laster mit 1,50 Meter hohen Reifen vorbei.

"Links und rechts fallen die Häuser und wir können es nicht ändern." Aber er will kämpfen um sein Haus, seinen Garten, seine 100 Obstbäume. Nach jahrelangen Streitigkeiten wurde, teil auf Kosten des Staates, teil auf Kosten Vattenfalls bei Forst ein neuer Ortsteil gebaut, wohin sie ziehen sollten. "Was soll ich mit einem neuen Garten, ich bin bald 70. Wenn ich dort die ersten Äpfel ernten kann, ist es für mich zu spät." Er sagt, daß nur eine drei Meter dicke Kohleschicht unter dem Dorf liegt und nicht zwei bis dreimal so viel - wie Vattenfall behauptet. "Das Dorf zu opfern ist unwirtschaftlich und sinnlos." Er will gegen die Enteignung bis vors Verfassungsgericht ziehen.

Die ehemalige Pfarrerin von Horno kommt vorbei, um Ursula Domain zum Geburtstag zu gratulieren. Als sie von der drohenden Sprengung erfährt, eilt sie zu ihrer einstigen Kirche und macht einige Fotos. Danach sagt sie: "Ich bin jetzt zu durcheinander, ich kann nicht über meine Gefühle beim letzten Besuch der Kirche reden."

Am Nachmittag ist die Kirche im Nebel verschwunden. Es wird fast andächtig still. Kein Baufahrzeug lärmt mehr. Um 14.55 Uhr ertönt das Warnhorn: lang, zweimal kurz. Ein greller Blitz im Kirchenfenster läßt erahnen, wo die Kirche steht. Ein gewaltiger Donnerschlag. Nichts ist zu sehen im Nebel. Ursula Domain wischt sich die Tränen ab. "Was für ein Geburtstagsgeschenk. Die Kirche war für uns immer das Symbol der Hoffnung. Aber wir geben trotzdem nicht auf." Sie dreht sich um, die Tränen laufen ihr übers Gesicht. Keine drei Minuten nach dem Knall dröhnt schon wieder der Baulärm über den letzten Resten von Horno.

 

Frank Bayer

 

Anmerkungen

1 Siehe hierzu auch unsere Artikel
      'Betrugsvorwürfe gegen Vattenfall' (17.06.04)

      'Lacoma: Klage gegen Vattenfall eingereicht' (7.06.04)

      'Lausitzer Teichlandschaft wird weiter zerstört' (2.06.04)

      'Hungerstreik für Lacoma' (19.03.04)

      'Hungerstreik, Räumung und Abrisse in Lacoma' (23.02.04)

      'Robin-Wood-Aktion für Lacoma' (21.12.03)

      'Lacoma: Abriß begonnen' (18.10.03)

      'Lacoma und Rotbauchunke kämpfen' (12.10.03)

      'Lacoma und Rotbauchunke weiterhin bedroht' (15.08.03)

      'Energie-Multi gegen Lacoma und Rotbauchunke' (9.08.03)

 

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