22.04.2009

EURATOM,
Milliarden-Subventionen
und die Bombe

Am 25. März 1957 wurde der Vertrag zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft, Euratom, unterzeichnet. Er ist einer der drei "Römischen Verträge", mit denen Frankreich, Deutschland, Italien und die Benelux-Staaten eine engere wirtschaftliche, finanzielle, atomtechnische und atommilitärische Zusammenarbeit vereinbarten. Die drei "Römischen Verträge" gelten als Grundlage für das politische Zusammenwachsen Europas. Danach wurde sukzessive die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG), dann die EG und schließlich die EU aufgebaut.

Der Euratom-Vertrag diente dem Aufbau und der massiven Förderung der europäischen Atomindustrie. Euratom ist die Grundlage für die Finanzierung der Atomforschung und für die Verteilung von Milliardenkrediten für Bau und Erhalt von Atomkraftwerken. In manchen älteren Texten zum Euratom-Vertrag ist noch ganz ungeschminkt nachzulesen, daß "die Kernenergie teuer war und die erforderlichen Investitionskosten die Möglichkeiten der einzelnen Staaten" - und erst recht die der Konzerne - überschritten. "Allgemeines Ziel des Vertrages war es, zur Bildung und Entwicklung einer mächtigen Kernkraftindustrie in Europa beizutragen."

Euratom erlaubte zudem die fortlaufende, offene und verdeckte Subventionierung der "friedlichen" Atomenergie aus europäischen Finanzmitteln. So wurde in den vergangenen Jahrzehnten die Entwicklung eines neuen Atomreaktors, des EPR, durch das Konsortium Siemens-Areva (vormals: Siemens-Framatome) durch EU-Mittel finanziert. Weiter ist in der Finanzplanung festgeschrieben, daß die Euratom-Forschungsgelder im Zeitraum 2007 bis 2011 um 230 Prozent steigen. Allein für die Atomfusionstechnologie und den dazugehörigen Forschungsreaktor ITER sollen in diesem Zeitraum mehr als zwei Milliarden Euro ausgegeben werden, obwohl völlig unklar ist, ob die Fusionstechnik jemals einen Nutzen haben wird. Unter dem Haushaltstitel "Kernspaltung und Strahlenschutz" sollen aus europäischen Finanztöpfen weitere 287 Millionen Euro, für die atomare "Gemeinsame Forschungsstelle" 517 Millionen Euro locker gemacht werden. Dagegen wurden von der EU für erneuerbare Energien zwischen 2002 und 2006 gerade einmal 96 Millionen Euro zur Verfügung gestellt.

Und obwohl es die EU-Kommission nicht an Rhetorik für erneuerbare Energien fehlen läßt, ist ihre reale Praxis nach wie vor weitaus stärker auf die Atomenergie als auf erneuerbare Energien ausgerichtet: Die Euratom-Finanzmittel werden weiterhin gesteigert und übertreffen die Finanzmittel für erneuerbare Energien um ein Vielfaches. Ebenso ist es bei den Forschungs- und Entwicklungsausgaben der OECD-Länder: Während die Mittel für erneuerbare Energien seit etwa drei Jahrzehnten bei rund acht Prozent liegen, liegt der Anteil der Atomforschung im Durchschnitt der OECD-Länder bei 51 Prozent. Dieses Zahlenverhältnis würde noch deutlicher zugunsten der Atomenergie und zu Lasten der erneuerbaren Energien ausfallen, wenn in die OECD-Statistik auch die Forschungs- und Entwicklungsausgaben der EU-Kommission und hier insbesondere für die Euratom-Behörde sowie die nicht veröffentlichten Ausgaben Frankreichs einbezogen würden.

Für die Zeiträume von 1950 bis 1973 und von 1974 bis 1992 liegen konkrete OECD-Zahlen vor: Zwischen 1950 und 1973 wurden umgerechnet 150 Milliarden US-Dollar für die "Atom-Forschung" verausgabt. Dabei sind die EU-Fördermittel nicht eingerechnet. Im entsprechenden Zeitraum wurde für erneuerbare Energien nichts zur Verfügung gestellt. In den 18 darauffolgenden Jahren zwischen 1974 bis 1992 wurden laut OECD 168 Milliarden US-Dollar für die "Atom-Forschung" locker gemacht. Auch in dieser Summe sind die EU-Fördermittel nicht eingerechnet. Im gleichen Zeitraum wurde für erneuerbare Energie gerade mal ein Achtel dieser Summe, 22 Milliarden US-Dollar - für alle erneuerbaren Energien zusammen - verteilt.

Alleine über den Euratom-Vertrag jedoch wurden seit 1957 - ohne parlamentarische Kontrolle - rund 400 Milliarden Euro "Fördermittel" für die Atomenergie gezahlt.

Euratom ist nicht allein ein reicher Fundus für die Subventionierung der Atomenergie, sondern stellt auch zinslose Kredite für die Errichtung oder Modernisierung von Atomkraftwerken zur Verfügung. Einige Beispiele hierzu:

Im Juli 1999 vergab die "rot-grüne" Bundesregierung - gerade erst wenige Monate im Amt - eine 36-Millionen-Mark-Hermesbürgschaft für die Nachrüstung des slowenischen Atomkraftwerks Krsko durch die Siemens AG.

Im März 2000 gewährte die "rot-grüne" Bundesregierung - erstmals nach 20-jähriger Pause - wieder eine Hermes-Bürgschaft für den Neubau eines Atomkraftwerkes. Mit Beschluß vom 10. März 2000 erhielt Siemens diese Bürgschaft für die Beteiligung am Neubau von zwei Atomkraftwerksblöcken (Lianyungang) in einer chinesischen Sonderwirtschaftszone. Siemens errichtete diese Atomkraftwerksblöcke vom russischen Typ WWER-1000 gemeinsam mit der russischen Atomwirtschaft. Bundeskanzler Schröder hatte zuvor gemeinsam mit Siemens-Managern in China die Baustelle des Atomkraftwerkes besichtigt und sich davon begeistert gezeigt. Im selben Zeitraum erhielt Siemens eine zweite Hermes-Bürgschaft für die Nachrüstungs- und Reparaturarbeiten am argentinischen Atomkraftwerks Atucha I. Eine dritte Hermes-Bürgschaft diente einer Zementieranlage für flüssige radioaktive Abfälle beim litauischen Atomkraftwerk Ignalina.

Am 7. Dezember 2000 enthielt sich die deutsche Bundesregierung bei einer Entscheidung der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD) und ermöglicht damit eine Kreditentscheidung für die Fertigstellung der beiden urkrainischen Atomkraftwerksblöcke Khmelnitzki-2 und Rowno-4 (K2R4) unter Beteiligung von Siemens und Framatome. Acht andere Staaten zeigen Rückgrat und stimmen gegen den 467-Millionen-DM-Kredit, darunter die Niederlande, Norwegen und Österreich. Hätte Deutschland mit "Nein" gestimmt und hätte sich dann der G7-Staat Italien - wie zuvor angekündigt - dem deutschen Votum angeschlossen, wäre der Kredit für den Bau von zwei Atomkraftwerken nicht durchgegangen. In Folge der Entscheidung der EBRD bewilligte die EU-Kommission einen Euratom-Kredit von über einer Milliarde DM. Da die EBRD-Kriterien für die Kreditvergabe von der Atomindustrie später nicht erfüllt wurden, zahlte die Bank den Kredit letztlich nicht aus.

Ein letztes Beispiel vom Dezember 2007: Für das AKW-Neubauprojekt im bulgarischen Belene beschloß die EU-Kommission, Euratom-Finanzmittel zur Verfügung zu stellen. Für veranschlagte rund vier Milliarden Euro sollen zwei Reaktorblöcke auf einem erdbebengefährdeten Standort rund 160 Kilometer nordöstlich von Sofia errichtet werden.

Im Jahr 2003 - also im fünften Jahr seiner Tätigkeit als "rot-grüner" Außenminister - bewies Joseph Fischer einmal mehr sein propagandistisches Talent, indem er via 'taz' seinen "Widerstand" gegen das Euratom-Gesetz verbreiten ließ. Am 11. Juni 2003 war darin zu lesen, Fischer habe auf "erheblichen Druck" und "in letzter Minute" die Aufnahme des Euratom-Vertrages in die neue europäische Verfassung abgelehnt. Daß die als Erfolg gepriesene Verschiebung des Vertrags-Textes in die Anlage keinerlei rechtliche Bedeutung hat, wurde verschwiegen. Nur wenigen war dabei klar, daß der Euratom-Vertrag so weiterhin unbefristet gilt und damit für alle EU-Mitgliedsstaaten verbindlich bleibt.

Tatsächlich war aber bereits am 11. Juni 2003 bekannt, daß der Beschluß des Bundestages von Mitte März 2003, die Subventionierung der Atom-Industrie zu beenden, durch das Außenministerium hinausgezögert wurde. Forderungen wurden wieder laut, Fischer müsse "eine schnelle Vertragsstaatenkonferenz initiieren und den Euratom-Vertrag aufkündigen".

Vierzehn Tage später wurde die Täuschung bemerkt: "Der grüne Außenminister Joschka Fischer hat sich zwar dafür eingesetzt, daß Euratom eine eigene Rechtspersönlichkeit erhält und damit nicht in die Verfassung als solche integriert wird. Trotzdem wird der Euratom-Vertrag, der im übrigen unbefristet ist, damit unverändert in ein neues gesamt-europäisches Vertragswerk überführt", hieß es in einer gemeinsamen Stellungnahme mehrerer Umweltverbände. Nichts desto trotz wurde kurze Zeit darauf erneut die Forderung an Fischer gerichtet, "eine Vertragsstaatenkonferenz zur Beendigung des Euratom-Vertrages" zu initiieren.

Umwelt-Organisationen wie Greenpeace, BUND und NABU bezeichneten es Anfang 2004 als "Nagelprobe" für die "rot-grüne" deutsche Regierung wie sie sich in dieser Frage verhält. Doch der damalige deutsche Außenminister verstand es immer wieder, sich in dieser Frage herauszuwinden. Und von Seiten der deutschen Mainstream-Medien wurden Fischer in dieser Angelegenheit kaum je unangenehme Fragen gestellt.

Im Juni 2004 meldete sich Greenpeace erneut öffentlich zu Wort und forderte, daß der Europarat in seiner kurz darauf stattfindenden Sitzung den Euratom-Vertrag aufheben solle. "In Deutschland den Atom-Ausstieg predigen und in Europa Atompolitik durchwinken, ist unglaubwürdig", erklärte Greenpeace. "Gerade der grüne Außenminister Fischer muß in Europa ein starkes Signal gegen Atomenergie setzen." Die Bundesregierung könne nicht still halten, wenn "über die Hintertür der Verfassung" die Atomenergie gefördert werden solle.

Greenpeace wies darauf hin, daß der Euratom-Vertrag an der Realität der bis dato aus 25 Staaten bestehenden Europäischen Gemeinschaft vorbeigehe: Zwölf Länder sind frei von Atomenergie: Italien, Dänemark, Österreich, Irland, Luxemburg, Griechenland, Portugal, Estland, Lettland, Polen, Zypern und Malta. Vier weitere EU-Staaten haben - zumindest auf dem Papier - einen Atom-Ausstieg erklärt: Deutschland, Schweden (bereits per Volksabstimmung 1980), Spanien und Belgien. Und in Litauen sollen die Reaktoren aus Sicherheitsgründen abgeschaltet werden.

Daß am Euratom-Vertrag so zäh und zugleich öffentlichkeitsscheu festgehalten wird, liegt nun keineswegs an nostalgischen Gefühlen, nicht einmal vorrangig an unverbrüchlicher Treue zur Atomenergie, sondern an der damit verbundenen Option zur Teilhabe an einer europäischen Atom-Streitmacht. So meinte bereits 1992 der ehemalige französische Außenminister Jean François-Poncet: "Am Ende des Weges zur europäischen Solidarität wird klarerweise auch eine nukleare Solidarität stehen."

Die Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft war 1957 untrennbar mit dem französischen Atomwaffen-Projekt verknüpft. Auch von der damaligen Bundeshauptstadt Bonn wurde Euratom in erster Linie als Entwicklungsvoraussetzung für eine europäische - also deutsche - Atombombe betrachtet. Dem Protokoll einer Kabinettssitzung zufolge hatte Adenauer 1956 vor dem Bundeskabinett erklärt, er "möchte über Euratom auf schnellstem Weg die Möglichkeit erhalten, selbst nukleare Waffen herzustellen." Und am Ende des Jahres 1957 hatte sogar der französische Verteidigungsminister Chaban-Delmas Westdeutschland und Italien den Vorschlag einer gemeinsamen Atomwaffenproduktion unterbreitet.

Nach dem Zusammenbruch der Ostblock-Staaten eröffnete sich kurzfristig eine Chance zu weltweiter atomarer Abrüstung. Frankreich und Großbritannien als die beiden europäischen Atommächte standen vor einer entscheidenden Weichenstellung. Variante A hätte geheißen, auf Abrüstung zu setzen und die britischen und französischen Atomwaffen schrittweise in den mit SALT begonnenen Abrüstungsprozeß einzubeziehen wie es der Atomwaffensperrvertrag vorschreibt. Damit wären die Pläne des damaligen deutschen Militärministers Volker Rühe durchkreuzt worden und es hätte die Chance bestanden, daß Deutschland eine Nicht-Atommacht bleibt. Variante B hieß, Frankreich und Großbritannien setzen auf Aufrüstung und Modernisierung ihrer Atomwaffen, um mit den USA in globale Konkurrenz zu treten. Diese Variante bedeutete zugleich eine Einladung an Deutschland, sich in die europäische Atomwaffenpolitik einmischen. So hieß es beispielsweise in 'Le Figaro' vom 4. September 1992 von General Fennebresque: "Europa ist dichter bevölkert und reicher als die USA. Um eine Rolle in der Weltpolitik zu spielen, muß es über eine militärische Kapazität gleicher Größe verfügen."

Welche Entscheidung getroffen wurde, ist heute offensichtlich und auch unter "Rot-Grün" versuchte Deutschland zwischen 1998 und 2005 seine Einflußnahme über die europäische nukleare Planungsgruppe und über eine gemeinsame Entscheidungsstruktur auszuweiten. Auch das - nur als Zwischenstadium akzeptierte - Veto für Frankreich und Großbritannien wird zu verändern versucht.

Diese Entwicklung seit 1990 bedeutet für die Mehrheit der EU-Staaten, die nicht über die A-Bombe verfügen und mehr noch für jene, die kein "ziviles" Atomprogramm haben oder aus diesem ausgestiegen sind (Österreich 1978, Italien 1987) ein Zuwachs an Verantwortung. Und zur Verantwortung kommt eine erhebliche Bürde in Form finanzieller Verpflichtungen hinzu. So mußte beispielsweise Österreich seit dem EU-Beitritt am 1. Januar 1995 jedes Jahr im Rahmen seiner Euratom-Mitgliedschaft einen zweistelligen Millionen-Betrag für die Förderung der Atomenergie in Europa überweisen. Mittlerweile beläuft sich dieser auf 40 Millionen Euro pro Jahr. Eine Mitverantwortung besteht auch für die Bedingungen des Uranbergbaus in Staaten der "Dritten Welt" und die damit verbundenen katastrophalen Umweltschäden. Und ebenso besteht auch eine Mitverantwortung für die Entwicklung neuer und kleinerer Atomwaffen.

Es stellt sich die Frage, ob das Schweigen zu diesem Thema und die zur Schau gestellte Ignoranz daher rühren, daß die betroffenen EU-Staaten nicht gegen die Atommächte Großbritannien und Frankreich aufzustehen wagen oder vielmehr darin begründet liegen, daß sich deren Regierungen eine Atom-Supermacht Europa herbeiwünschen, die mit den USA rivalisieren kann, daß sie sich Europa gar nicht anders vorstellen können, denn als Atommacht mit entsprechender Infrastruktur in Wissenschaft, Industrie und Militär.

Und daß in den vergangenen 15 Jahren immer seltener von "gemeinsamer Atomstreitmacht", "europäischen Kernwaffen", "EU-Atombombe" oder "Atomtestgelände für gemeinsame europäische Verteidigung" die Rede ist, hat allein psychologische Gründe. Die Polit-, Militär- und PR-Strategen wissen, daß mit diesen Begriffen bei Millionen von EuropäerInnen ganz andere Assoziationen geweckt würden als mit "europäisches Sicherheitsbündnis", "gemeinsame europäische Rüstungsanstrengungen", "europäische Solidarität bei der Verteidigung" und ähnlichem.

Die sogenannte zivile Nutzung der Atomenergie und die Entwicklung der A-Bombe waren von Beginn an unlöslich miteinander verknüpft. Schon Atomminister Franz Josef Strauß hatte verstanden, daß der Weg zur "Atomaren Teilhabe" über den staatlich hoch subventionierten Aufbau einer "zivilen" Atomkraftnutzung führt. Doch die noch allzu frische Erinnerung an den Holocaust blockierte lange Zeit das Erreichen des Ziels über diesen Weg.

Schon damals war Fachleuten klar, daß es unnötig wäre, Plutonium in militärischen Reaktoren zu erzeugen, wenn es aus "zivilen" Atomkraftwerken abgezweigt werden kann. Vor der Öffentlichkeit und vor internationaler Konkurrenz verborgen, können so die militärischen Zwecke so lange wie möglich unter dem Deckmantel der "friedlichen" Kernenergie unerkannt bleiben. Und umgekehrt bleibt ein verkündeter Atom-Ausstieg obsolet, solange der Weg zur europäischen Atom-Streitmacht weiter verfolgt wird.

1999 beschloß der Europäische Rat in Helsinki den Aufbau einer Schnellen Eingreiftruppe als Kern unabhängiger europäischer Streitkräfte. Dank US-partnerschaftlich gestimmter Kräfte innerhalb der EU kamen diese Pläne nicht recht voran - bis auf dem NATO-Gipfel Ende 2002 in Prag die Schnelle Eingreiftruppe als NRF (Nato Response Force) installiert und deren Kommando-Ebene via NATO für die USA reserviert wurde. Und auch die Ost-Erweiterung der EU um 10 weitere Staaten konnte die Entwicklung zu einer EU-Atommacht nicht voranbringen, sondern bremste eher. Bereits 2004 war offensichtlich, daß die Mehrheit der Regierungen der neuen EU-Mitgliedsstaaten in Osteuropa den US-Interessen treuer dienten als denen der westeuropäischen Eliten. Dennoch führte dies nicht dazu, daß das dynamische Gleichgewicht zwischen den "Atlantikern" und den Protagonisten einer europäischen Atom-Supermacht allzu sehr aus den Fugen geriet.

Um die Jahrtausendwende schien die Möglichkeit greifbar nahe, daß nach einem Umkippen der in Europa anhaltend negativen Einstellung zur Atomenergie und der lange ersehnten und seit über zehn Jahren immer wieder angekündigten "Renaissance der Kernenergie" der Neubau von Atomkraftwerken - zumindest in größerer Zahl - mit Finanzmitteln aus EU-Quellen realisiert werden könnte. Denn bei Investitionssummen von offiziell 3,2 Milliarden Euro pro EPR-Atomkraftwerk, die sich nach den Erfahrungen in Flamanville und Olkiluoto realistisch auf mindestens 7 Milliarden Euro belaufen, finden sich keine Banken oder privaten Financiers für einen AKW-Neubau. Hinzu kommt, daß bei einer Bauzeit von rund zehn Jahren und einem Gewinn von rund einer Million Euro pro Tag - wie leicht nachzurechnen ist - weitere 19 Jahre Amortisationszeit folgen, bevor ein AKW Profit abwirft. Ein AKW, dessen Bau heute begonnen würde, hätte also erst im Jahr 2038 das investierte Kapital wieder hereingespielt.

Der Euratom-Vertrag ist so gestaltet, daß er nur durch eine einstimmige Entscheidung aller - mittlerweile 27 - EU-Staaten aufgehoben werden kann. Einziger Ausweg für europäische Staaten, die nicht jährlich Zahlungen in mindestens zweistelliger Millionenhöhe zur Subventionierung der Atomenergie in Großbritannien, Frankreich oder Finnland leisten wollen, bliebe dann nach einer häufig publizierten Rechtsauffassung nur der Austritt aus der EU. Im Jahr 2007 wurde diese Darstellung allerdings durch mehrere prominente Rechtsgutachten wie beispielsweise von Professor Michael Geistlinger von der Universität Salzburg widerlegt. Eine Beendigung der Euratom-Mitgliedschaft bei gleichzeitigem Verbleib in der EU wäre demzufolge durchaus rechtlich möglich. Außerdem bestünde die Möglichkeit - nach dem Vorbild der USA, die dies lange Jahre gegenüber den Vereinten Nationen praktizierten - einfach die Zahlung auszusetzen und die rechtlichen Schritte der Gegenseite zu überlassen.

In einer im Juni 2003 von Greenpeace in Österreich in Auftrag gegebenen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts ISMA stimmten 90 Prozent der Forderung zu, die österreichische Regierung solle gegen die Sonderstellung der Atomindustrie in Europa Einspruch erheben und der Eingliederung des Euratom-Vertrags in die europäische Verfassung entgegentreten. 76 Prozent der Befragten waren mit der Politik der österreichischen Regierung auf EU-Ebene in Atomfragen unzufrieden. Geschehen ist - außer einem lediglich als pro forma zu wertenden Vorstoß der österreichischen Regierung - bis heute nichts.

 

REGENBOGEN NACHRICHTEN

 

Anmerkungen

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