22.02.2011

Die virtuelle Diskussions-Armee
ist im Anmarsch

Die virtuelle Diskussions-Armee Hacker haben aufgedeckt, daß ein US-amerikanischer IT-Sicherheits-Konzern an Software für eine virtuelle Diskussions-Armee arbeitet. Mit dem "Persona Project" könnten Diskussionen im Internet manipuliert und gelenkt werden. Auch die Fälschung von Internet-Abstimmungen kann so auf ein neues Level gehoben werden.

Längst ist bekannt, daß PR-Agenturen und politische Vorfeld-Organisationen bezahlte Kräfte dazu abkommandieren, in Diskussions-Foren und "sozialen Netzwerken" des Internet aktiv zu werden. Deren Aufgabe besteht darin, für die zahlende Kundschaft verdeckte Öffentlichkeitsarbeit zu leisten - vulgo: Propaganda zu verbreiten. Beispielsweise ist der massive Einfluß der Atomlobby auf die "Kernenergie"-Seiten bei Wikipedia bekannt. Dabei fiel allerdings schon auf, daß besonders fleißige Wikipedia-SchreiberInnen über eine IP-Adresse verfügten, die einem der großen Energie-Konzerne zugeordnet werden konnte. Nützlich wäre es nun für diese meist in der Minderheit befindliche Klientel solcher PR-Kräfte, wenn auch über IP-Adressen nicht mehr nachvollziehbar wäre, wer hinter bestimmten Behauptungen, Meinungen oder Interessen steckt.

Solange sich hinter gewissen "Sockenpuppen" - also verschiedenen Alias-Namen, die von ein und derselben Person benutzt werden - noch professionelle SchreiberInnen verbargen, war deren Einfluß recht beschränkt, da sie zum einen des öfteren geoutet wurden und ihr Werk zum anderen relativ zeitaufwendig und kostenintensiv war. Wirklich professionelle SchreiberInnen arbeiten schließlich nicht für Niedriglöhne.

Der bekannte US-Blog 'Daily Kos' hat nun anhand interner eMails des IT-Sicherheitsdienstleisters 'HB Gary Federal' aufgedeckt, daß dieser an der Software für einer virtuellen Diskussions-Armee arbeitet - interne Bezeichnung: "Persona Project". In dem geleakten internen eMail-Verkehr diskutieren ranghohe MitarbeiterInnen von 'HB Gary Federal' über die Konzeption dieses IT-Projekts, bei dem es hauptsächlich darum geht, zahlreiche virtuelle Identitäten zu generieren und zentral zu verwalten. Diese virtuellen Identitäten oder "Sockenpuppen" werden dabei nicht mehr durch einzelne MitarbeiterInnen mit einem anonymisierten eMail-Account gesteuert. Die geplante Software soll stattdessen eine ausgefeilte Komplettlösung bieten, die neben einem anonymisierten Internet-Zugang auch die Verankerung der virtueller Identitäten in "sozialen Netzwerken" wie etwa Facebook oder Twitter bietet. Eigene Blogs sowie eine simulierte Interaktivität untereinander und mit anderen realen NutzerInnen, unauffällige statische und dynamische IP-Adressen und gefakte eMail-Accounts gehören zu dem hier entwickelten Konzept. Das Ziel besteht hier offenbar darin, denen, die eine solche Software einmal kaufen, eine virtuelle Diskussions-Armee zur Verfügung zu stellen, mit der in Internet-Foren, Blogs und "sozialen Netzwerken" Einfluß auf die Meinungsbildung genommen werden kann.

Hinter der Idee einer virtuellen Diskussions-Armee stecken folgende Überlegungen: Innerhalb von Diskussionsrunden zu einem bestimmten Thema mußte bislang die Zahl der von wenigen Profis gesteuerten "Sockenpuppen" relativ groß sein, ihr Hintergrund mußte glaubwürdig erscheinen und ihr Zusammenspiel mußte passen. Wenige Profis konnten bislang kaum eine Diskussion drehen und die Mehrheitsmeinung beeinflussen. Erfahrungsgemäß gibt es auch immer eine nicht geringe Zahl von MitläuferInnen, die sich der Mehrheitsmeinung unabhängig von deren Inhalt anschließen und auf Widerspruch aggressiv reagieren. Bei der "Regie" von Parteitagen werden solche psychologischen Erkenntnisse schon seit langem genutz: So werden etwa künstlich Extrempositionen aufgebaut, um so das gewünschte Resultat als Kompromiss der "Mitte" durchsetzen zu können.

Besonders raffiniert und schwer zu durchschauen wird das "Spiel mit gezinkten Karten", wenn verschiedene Positionen des "Pro" und "Contra" zunächst in einer scheinbar ausgewogenen Diskussion präsentiert werden. Dabei können die verschiedenen ProtagonistInnen kunstvoll einen argumentativen Schlagabtausch inszenieren, bei dem die unbedarften TeilnehmerInnen Schritt für Schritt zu der gewünschten Meinung hingeführt werden. Mit einer genügend großen virtuellen Diskussions-Armee kann nicht nur künstlich ein "Pro" und "Contra" entlang einer vorgegebenen Frontlinie - etwa: Atomausstieg bis 2017 versus Atomausstieg bis 2022 - inszeniert werden, sondern zudem kann im Verlauf der Diskussion der Frontverlauf sanft gesteuert verschoben werden.

Das von 'Daily Kos' präsentierte Leak hat einen spektakulären Hintergrund: Aaron Barr von 'HB Gary Federal' ist bei der Netz-Gemeinde längst kein Unbekannter mehr. In einem "privaten" Nebenprojekt wollte er die Identität der Mitglieder der Hackergruppe 'Anonymous' aufdecken. 'Anonymus' hatte sich unter anderem zur "Operation Payback" bekannt, dem DDoS-Angriff auf die Unternehmen Amazon, PayPal, MasterCard, Visa und PostFinance, die sich am Kesseltreiben gegen die Whistleblower-Plattform Wikileaks beteiligt hatten. Seit der in Schweden im Herbst vergangenen Jahres gestarteten Klage gegen Wikileaks-Gründer Julian Assange wird von meist in den USA beheimateten Unternehmen versucht, Wikileaks finanziell auszubluten. Barr behauptet, er sei mit seinem Schlag gegen 'Anonymus' erfolgreich gewesen - 'Anonymus' hingegen streitet dies ab. Die Hacker griffen nun auch Barrs Unternehmen an: Mit Hilfe von "Social Engineering" und "SQL-Injektionen" kaperten sie Barrs iPad, seinen Twitter- und seinen eMail-Account. Der nun geleakte eMail-Verkehr stammt aus diesem Gegenschlag.

Offenbar kamen 'HB Gary Federal' die Aspirationen Barrs teuer zu stehen. Die Internet-Seiten des Unternehmens wurden nicht nur gehackt, sondern zudem per DDoS-Attacke versenkt. Bis heute tauchten die Internet-Seiten des Unternehmens nicht wieder auf. Der finanzielle Verlust geht vermutlich in die Millionen, während der Image-Schaden für ein Unternehmen dieser Branche kaum mehr wettzumachen ist.

'HB Gary Federal' ist zu hundert Prozent ein Tochter-Unternehmen des IT-Dienstleisters 'HB Gary', der hauptächlich von Staats-Aufträgen lebt. Ihm werden enge Kontakte zum CIA, zum Pentagon und einschlägigen Anwaltskanzleien und PR-Unternehmen in diesem Umfeld nachgesagt. Daher kursiert das Gerücht, der US-amerikanische Staatsapparat versuche mit Hilfe des "Persona Project", Regierungs-Propaganda im Internet besser zu verbreiten. Maßgeblich für den Erfolg wäre dabei, sicherzustellen, daß die Quelle der "Informationen" unerkannt bleibt.

Daß die US-Administration bereits nach solchen Wegen der "Informations-Übermittlung" Ausschau gehalten hat, wurde nach einer Ausschreibung der US Air Force im Juni 2010 publik. In dieser Ausschreibung mit der Nummer RTB220610 bietet die US Air Force Aufträge für eine "Persona Management Software", mit der 50 NutzerInnen ein kleines Heer von 500 virtuellen Online-Kriegern verwalten und steuern können. Als Extras werden beispielsweise ein VPN, IP-Management und virtuelle Server genannt. Das Einsatzgebiet soll laut Ausschreibung im Irak und in Afghanistan liegen. Die gesamte Ausrichtung der beschriebenen Software erinnert jedoch stark an das "Persona Project".

Der Einsatz solcher Software im Ausland wäre mit dem US-Recht konform. Daß es sich dabei jedoch nur um Camouflage handeln dürfte, wird deutlich, wenn es im internen eMail-Verkehr Aaron Barrs heißt, "der Auftraggeber" sei vor allem am Einsatz im Inland interessiert.

 

REGENBOGEN NACHRICHTEN

 

Anmerkungen

Siehe auch unsere Artikel:

      EU-Kommissarin Malmström
      kämpft weiter für Internet-Zensur (17.02.11)

      EU mit Appetit auf Passagier-Daten
      Speicherung angeblich zum Zweck der Terrorabwehr (3.02.11)

      Luxenburger Piratenpartei
      gegen Volkszählung (28.01.11)

      Neo-Nazis wollen bundesweit schnüffeln
      "Zensus 2011" bietet Einfallstor (23.01.11)

      Datenspeicher Küchentisch
      "Zensus 2011" wenig durchdacht (21.01.11)

      Internationale Liga für Menschenrechte
      unterstützt Volkszählungs-Boykott (8.01.11)

      Volkszählung "Zensus 2011"
      Die NPD will helfen (6.01.11)

      Volkszählungs-GegnerInnen
      legen Verfassungsbeschwerde ein (16.07.10)

      Daten-Krake ELENA eingefroren
      Moratorium für elektronischen Einkommensnachweis (6.07.10)

      google und Zensur
      Deutschland weit vorne (21.04.10)

      Unfähig zur Diskussion
      Internet-Sperren und Cecilia Malmström (15.04.10)

      Internet-Zensur nun aus Brüssel?
      Vorwand Kinderpornographie und erschreckende
      Ignoranz gegenüber Sachargumenten (29.03.10)

      Internet-Sperren-Gesetz von der Leyens
      soll gestoppt werden (27.12.09)

      Demo "Freiheit statt Angst" in Berlin
      20.000 gegen Überwachungswahn (13.09.09)

      'aspekte'-Sendung mit Kritik an Internet-Sperren-Gesetz
      Ex-Bundesverfassungsrichter Hoffmann-Riem
      äußert schwerwiegende Bedenken (1.08.09)

      Internet - Kinderpornographie - Vorwand für politische Zensur
      Anhörung im Bundestag (4.06.09)

      Internet - Kinderpornographie - Vorwand für politische Zensur
      Regierung spricht von Gremium zur Kontrolle des BKA (26.05.09)

      Gegen politische Zensur des Internets
      Online-Petition gegen Internetsperre
      am ersten Tag mehr als 16.000 UnterzeichnerInnen (5.05.09)

      Mit Stop-Schild gegen Kinderpornos?
      Arbeitskreis gegen Internetsperren und Zensur gegründet (17.04.09)

      Aufstehn für ein freies Internet
      CCC will "Zensursula" besuchen (16.04.09)

      wikileaks.de gesperrt
      Beginn der Internet-Zensur in Deutschland? (11.04.09)

      Hausdurchsuchung bei Inhaber der Domain wikileaks.de
      Aktionismus gegen Kinderpornographie
      als Vorwand für politische Zensur (25.03.09)

      Bundesverfassungsgericht stoppt Wahl-Computer
      Die Manipulierbarkeit von elektronischen Speichersystemen,
      'Wikipedia' und Internet-Umfragen (3.03.2009)

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