Eine Versammlung der kirchentags-kritischen Aktionsgruppe 'Das 11. Gebot' wurde vom Evangelischen Kirchentag Berlin 2017 blockiert. Für die mit Zitaten versehene Luther-Figur kassierten die AktionskünstlerInnen überdies eine Anzeige wegen Volksverhetzung - für Original-Zitate Martin Luthers.
Die evangelische Kirche beschäftige sich auch mit den dunklen Seiten von Martin Luther, besonders mit seinem Antisemitismus - das jedenfalls war heute gegen fünf Uhr von Margot Käßmann auf der Kirchentagsbühne am Berliner Alexanderplatz zu hören. In Wahrheit tun sich die evangelische Kirche und der evangelische Kirchentag jedoch noch immer sehr schwer mit der Lutherkritik. Wie anders kann man es verstehen, daß nur gut zwei Stunden zuvor das Aufstellen einer mit Zitaten versehenen Luther-Statue der Kunstaktion 'Das 11. Gebot' vom Kirchentags-Veranstalter blockiert wurde - und das trotz vorliegender Genehmigung?
Diskussionen mit der Polizei vor dem Tor des Messegeländes
Foto: © Frank Nicolai
Was war geschehen? Die Aktionsgruppe 'Das 11. Gebot: Du sollst Deinen Kirchentag selbst bezahlen' ist nun bereits seit 2014 Stammgast auf jedem Evangelischen Kirchentag und jedem Katholikentag, um darauf aufmerksam zu machen, daß diese christlichen Events zu einem Drittel oder mitunter gar zur Hälfte und darüber hinaus mit öffentlichen Mitteln bezahlt werden. Ihre Moses-Figur mit Steintafel und der Aufschrift "Das 11. Gebot: Du sollst deinen Kirchentag selbst bezahlen!" ist inzwischen weit bekannt.
Anläßlich des diesjährigen Reformations-Kirchentages in Berlin, Leipzig, Wittenberg und anderen ostdeutschen Städten hatten sich die Macher des "11. Gebots" etwas Besonderes ausgedacht. Passend zum gestrigen Eröffnungs-Gottesdienst am Brandenburger Tor in Berlin erschienen sie nicht nur mit der bekannten Moses-Figur, sondern zusätzlich mit einer Luther-Statue: "Die nackte Wahrheit über Martin Luther", der seinem Mantel öffnet, in dem vorn zu lesen ist:
"Luthers Ratschläge gegen die Juden hat Hitler genau ausgeführt."
(Karl Jaspers, 1962)
Auf der Rückseite des Mantels steht:
Sieben Maßnahmen gegen die Juden:
1. Verbrennen ihrer Synagogen
2. Zerstörung ihrer Häuser
3. Wegnahme ihrer religiösen Bücher
4. Lehrverbot für Rabbiner
5. Aufhebung der Wegefreiheit
6. Zwangsenteignung
7. Zwangsarbeit
(zitiert aus: "Von den Juden und ihren Lügen", Martin Luther, 1543)
Luther mit Blick auf das Reichstagsgebäude, Foto: © Evelin Frerk
Mit Flyern und Broschüren klärten die AktionskünstlerInnen die Kirchentags-BesucherInnen darüber auf, daß jener Mann, der im Zentrum der Verehrung der mit rund 250 Millionen Euro aus staatlichen Mitteln geförderten Luther-Dekade sowie des ebenfalls staatlich massiv geförderten Reformations-Jubiläums-Kirchentages steht, ein glühender Antisemit war.
Für den heutigen Donnerstag hatte die Aktionsgruppe eine Veranstaltung vor dem Südeingang der Berliner Messe geplant, in der der kostenpflichtige Berliner Kirchentag derzeit stattfindet - nur einzelne andere, kostenlose Veranstaltungen finden auf Bühnen in der Berliner Innenstadt statt. Mit ihren beiden Figuren - dem nackten Luther und dem Moses - wollten sich die AktionskünstlerInnen vor dem Eingang der Messe aufstellen und die Kirchentags-BesucherInnen darüber aufklären, was es mit Luther und der Kirchentags-Finanzierung so auf sich hat. Die Veranstaltung war offiziell bei allen zuständigen Stellen beantragt und genehmigt - dennoch kam es nicht dazu.
Die Luther-Figur von vorn
Foto: © Frank Nicolai
Da der öffentliche Zugang zum südlichen Messe-Eingang unter einer Unterführung verläuft, für die die beiden fahrbaren Figuren zu hoch sind, wollten die AktionskünstlerInnen den teilweise parallel zum öffentlichen Zugang verlaufenden Lieferweg zur Messe nutzen, den während des Messe-Aufbaus auch die AusstellerInnen nutzen, um Lasten anzuliefern. Doch der Zutritt zu diesem Lieferweg wurde ihnen trotz vorliegender Genehmigung ihrer Veranstaltung vom Organisationsteam des Kirchentages verweigert. Denn das Hausrecht auf dem Messegelände hat während der Dauer des Kirchentags der Kirchentags-Veranstalter. Daß es sich bei dieser Weigerung nicht um ein Versehen oder die Eigenmächtigkeit eines Wächters handelte, bezeugte recht eindrücklich die mehrfach über Funk durchgegebene Anweisung "von oben": "Das 11. Gebot auf keinen Fall reinlassen!"
Juliane Voss, regionale Pressesprecherin des Kirchentages, sagte hierzu gegenüber der Presseagentur hpd , daß der Kirchentag das Versammlungsrecht des "11.Gebots" zwar akzeptiere, daß er dessen Ausübung jedoch nicht unterstütze. Wenn ein Zugang zum genehmigten Versammlungsort über die öffentliche Fläche nicht möglich sei, so sehe der Kirchentag keine Veranlassung, dem "11. Gebot" über den parallelen Lieferweg Zugang zum Gelände zu verschaffen. So die offizielle Stellungnahme des Kirchentags-Verantwortlichen.
Doch es geschah noch Merkwürdigeres. Da das "11. Gebot" samt Luther und Moses keinen Einlaß erhielt und die Diskussionen vor dem Tor zum Lieferweg anhielten, wurden auch Kirchentags-BesucherInnen auf die Figuren aufmerksam. Eine Besucherin echauffierte sich so sehr über die Luther-Statue, daß sie die Polizei rief. Diese erschien umgehend und kurze Zeit später auch Geheimdienst-VertreterInnen. Ein solcher "Staatsschützer" teilte den AktionskünstlerInnen mit, daß mit sofortiger Wirkung ein Berlin-weites Verbot für das Aufstellen der Luther-Figur gelte und daß eine Anzeige erstellt würde, da der Anfangsverdacht der Volksverhetzung vorliege. Die auf der Rückseite des Luther-Mantels aufgeführten Forderungen aus der Feder Martin Luthers erfüllten den Tatbestand der Volksverhetzung. Martin Luther: Ein amtlich attestierter Volksverhetzer.
Luther und Moses unbehelligt vor dem Brandenburger Tor
Foto: © Evelin Frerk
Die Amtspersonen meinten, die Aktionsgruppe "Das 11. Gebot" habe nicht deutlich genug von den Thesen Luthers distanziert. Wie man sich deutlicher davon distanzieren kann als durch die Nacktheit der satirisch überspitzten Luther-Figur sowie durch die verteilten Flyer und Broschüren, die über die antisemitische Hetze Luthers aufklären und mehr als deutlich kritisieren, daß dem Antisemiten Luther durch Luther-Dekade und Kirchentag ein staatlich umfangreich finanziertes Denkmal gesetzt wird, ist eine interessante Frage. Mit dieser wird sich laut Auskunft der Pressestelle der Berliner Polizei gleich morgen die zuständige Staatsanwaltschaft beschäftigen und eine rechtliche Würdigung des Sachverhalts vornehmen.
Anmerkungen
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