5.03.2005

Visa-Affäre:
Maulkorb für kritische Botschafter

Am 24. Januar 2003 ließ Außenminister Fischer 16 deutsche Botschaften in Osteuropa per Maulkorb-Erlaß dazu vergattern, die direkte Zusammenarbeit mit Bundeskriminalamt (BKA) und Bundesgrenzschutz (BGS) einzustellen. Der Grund dafür war ganz eindeutig, daß die Mißstände bei der seit Ende 1999 illegalen Visa-Praxis nicht publik werden sollten. Es kann also keine Rede davon sein, daß sich Joseph Fischer zu wenig um die Angelegenheit gekümmert hätte. Die tatsächlichen Interessen, denen diese "West-Werbung" in den ehemaligen Staaten des Warschauer Pakts diente, liegen auf der Hand...

Dieser Maulkorb-Erlaß führte zu heftigen Protesten der deutschen Botschaft in Moskau. In einem Fax vom 28. Januar 2003 ersuchten die Diplomaten, "aus dem Kreis der Weisungsempfänger ausgenommen" zu werden. Zugleich warnte sie ausdrücklich davor, daß durch diesen Erlaß die Arbeit der vor Ort eingesetzten Verbindungsbeamten vom Bundeskriminalamt und vom Bundesgrenzschutz "obsolet" würde. Andere Botschaften fragten ebenfalls in Berlin an.

Allzu sonderlich war es, daß keinerlei direkte Korrespondenz mehr zwischen Botschaften und Sicherheitsbehörden stattfinden sollte. Auch Anfragen von BKA und BGS sollten zunächst ans Außenamt in Berlin weitergeleitet werden und die Beantwortung ebenfalls über Berlin laufen.

Zu dieser Zeit war die deutsche Botschaft in Moskau mit der weltweit stärksten Visa-Nachfrage beschäftigt. Die Diplomaten warnten das Außenministerium, dieser Andrang würde "de facto zu einer Lähmung der hiesigen Vertretung bei allen Bemühungen führen, gemeinsam mit anderen Partnern Versuchen der unerlaubten Einreise, der Schleusertätigkeit bzw. des Menschenschmuggels sowie anderen kriminellen oder gar terroristischen Aktivitäten wirksam zu begegnen". Offenbar stand auch nach 2001 die angebliche Sorge vor terroristischen Aktivitäten hinter den wirtschaftlichen Interessen Deutschlands zurück.

Die Warnung der Botschaft, daß der Maulkorb-Erlaß zahlreiche "Kontakte der Botschaft mit Sicherheitsbezug" beträfe, wurde ignoriert. Der Hinweis, es seien täglich zwischen 10 und 30 Anfragen" von deutschen Polizeidienststellen, Bundesgrenzschutz und Bundeskriminalamt zu bearbeiten, hatte für Berlin offenbar keinerlei Gewicht. Auch das Lamento, das BKA werde nunmehr bei der Bearbeitung von Fälschungsdelikten mit Bezügen zur organisierten Kriminalität und Terrorismus behindert, verfing nicht bei Außenminister Fischer.

In Fischers Auftrag dementierte das Außenamt gestern, Botschaften die direkte Zusammenarbeit mit Sicherheitsbehörden untersagt zu haben. Vielmehr sei eine "enge und vertrauensvolle Kooperation der Botschaften mit den Innenbehörden ausdrücklich erwünscht", erklärte eine Sprecherin. "Bestimmter Schriftverkehr" zwischen Botschaften und etwa dem BKA und BGS müsse, wenn er von grundsätzlicher Bedeutung sei, nach der Geschäftsordnung des Außenamts generell über Berlin laufen. Tatsächlich jedoch bestätigt ein gestern in Berlin in Kopie verbreiteter Erlaß des Außenamts vom 30. Januar 2004 die Linie des Maulkorb-Erlasses vom 24. Januar 2003.

 

Adriana Ascoli

 

Anmerkungen

Siehe auch unsere Artikel

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