Anerkennung von NATO und Kapitalismus
als Voraussetzungen für "Politikfähigkeit"
Der Spitzenkandidat der Linkspartei bei der Landtagswahl in Thüringen, Bodo Ramelow, gibt die Richtung für die in den kommenden vier Jahren anstehende Anpassung seiner Partei an die von den Etablierten geforderte "Politikfähigkeit" vor. Passender Weise in einem Interview mit der Springer-Zeitung 'Welt am Sonntag' erklärte er im pluralis majestatis zum Afghanistan-Krieg: "Uns geht es nicht um einen sofortigen Abzug. Das wäre wie eine Flucht damals aus Vietnam."
Ähnlich wie bei den Grünen in den 1980er Jahren werden von den Mainstream-Medien informelle Voraussetzungen geltend gemacht, bevor aufstrebende PolitikerInnen als "politikfähig" gelten dürfen. Zu diesen ungeschriebenen Regeln gehört, daß die NATO, das Gewaltmonopol des Staates und nicht zuletzt das kapitalistische Wirtschaftssystem als unantastbar anerkannt werden müssen. OportunistInnen und KarrieristInnen, die diese Regeln verstanden haben, werden mit der Nennung ihres Namens in der "Berichterstattung" von Parteitagen geadelt und bei Interviews bevorzugt. Sowohl von den Mainstream-Medien als auch von den Parteihierarchien wird eine unsichtbare Selektion ausgeübt: Die "Anpassungsfähigen" werden mit Aufmerksamkeit belohnt, die "Unbelehrbaren" mit Häme überzogen, diffamiert oder schlicht ignoriert. So ist gewährleistet, daß in der Regel nur eine Auswahl der schwächsten und anfälligsten Menschen von der Basis der Parteien bis in entscheidende Positionen in Berlin aufsteigt.
Daß ein hervorragendes Wahlergebnis nicht ausreicht, um als "politikfähig" anerkannt zu werden, mußte die Linkspartei nach der Landtagswahl in Thüringen schmerzlich zur Kenntnis nehmen. Sie war immerhin auf real 15,6 Prozent (offiziell 27,7 bei Nichtberücksichtigen der Wahlbeteiligung) gekommen und lag damit weit vor der "S"PD (real 10,7 / offiziell 19,0). Dem thüringer "S"PD-Chef Christoph Matschie wird es sicherlich noch gelohnt werden, daß er entgegen sonstigen politischen Gepflogenheiten bei den "rot-rot-grünen" Koalitionsverhandlungen die Wahl Ramelows zum Ministerpräsidenten von vornherein ausgeschlossen hat. Ramelow sollte offenbar sogar vor der gebotenen Rücksprache innerhalb der Linkspartei dazu genötigt werden, bereits bei den Sondierungsgesprächen den Satz zu unterschreiben: "Die SPD stellt den Ministerpräsidenten."
Daß Ramelow diese Lektion gelernt hat, sich aber offenbar noch recht ungeschickt bei der Umsetzung anstellt, zeigt der Vergleich mit Vietnam in seinem Interview mit der 'Welt am Sonntag' (WamS). Dabei dürfte überzeugten AnhängerInnen von - letztlich unverbindlichen - Parteiprogrammen an der Basis der Linkspartei besonders bitter aufstoßen, daß Ramelow den Vietnam-Krieg nicht nur aus der Perspektive der US-Militärmacht betrachtet, sondern für einen vermeintlich ehrenvollen Abzug durchaus bereit gewesen wäre, einige zehntausend weitere Tote in Kauf zu nehmen.
Nun ist die "pragmatische" Anerkennung von Krieg ("Volksbefreiungskrieg") auf Seiten der Linken keineswegs ein neuartiges Phänomen. Gelegentlich mag dabei das Scheinargument, es gehe um die Verteidigung von Menschenrechten, von den Kriegs-PropagandistInnen selbst geglaubt worden sein. In seiner Äußerung schießt Ramelow aber über die vorgegebene Ziellinie weit hinaus. So kommentiert beispielsweise Werner Pirker in der 'jungen welt' empört: "Daß aber einer das chaotische Ende eines von den USA geführten Unterwerfungskrieges beklagt, stellt zweifelsohne eine neue Qualität linken Anpaßlertums dar."
Ramelows Karriere in der Linkspartei könnte als Folge dieser Ungeschicklichkeit ein schnelles Ende finden. Dies wird jedoch den zukünftigen Kurs der Linkspartei kaum beeinflussen. Auch wenn Ramelow ersetzt werden muß, stehen genügend andere, die ebenfalls Blut geleckt haben, bereits Gewehr bei Fuß, um seine Rolle alsbald zu übernehmen.
REGENBOGEN NACHRICHTEN
Anmerkungen
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