Ein Gericht in Ivrea bei Turin hat möglicherweise ein weltweit bahnbrechendes Urteil gesprochen: Die italienischen RichterInnen gaben der Klage des früheren Managers eines großen Telekommunikations-Konzerns statt, der über 15 Jahre lang beruflich ein Mobiltelefon ("Handy") genutzt und einen Tumor bekommen hatte. Sein Leiden wurde als Berufskrankheit anerkannt.
Zunächst hatte sich der Tumor dadurch bemerkbar gemacht, daß der betroffene Manager namens Roberto Romeo zunehmend schwerhörig auf dem rechten Ohr wurde. Im Winter 2010 ging er deswegen zum Arzt. Es wurde ein Akustikusneurinom festgestellt. Bei der Operation mußte der Hörnerv des rechten Ohres entfernt werden. Seitdem ist er auf dem rechten Ohr taub.
Das Gericht in Ivrea entschied nun über seine Klage gegen den Telekommunikations-Konzern, in der es um die Berufsunfähigkeits-Rente ging. Aufgrund der Expertise des vom Gericht bestellten Sachverständigen Paolo Crosignani, einem Physiker und Mediziner, überzeugten sich die RichterInnen davon, daß in diesem Fall ein kausaler Zusammenhang zwischen der Nutzung eines Mobiltelefons und der Tumor-Entstehung gegeben ist.
Allerdings warnt Paolo Crosignani vor Verallgemeinerungen. Im konkreten Fall habe ein kausaler Zusammenhang nachgewiesen werden können, weil der Betroffene sich einer sehr hohen Dosis der bei Mobiltelefonen verwendeten gepulsten elektromagnetischen Hochfrequenz-Strahlung aussetzte. Roberto Romeo habe die meiste Zeit ein altes "Handy" genutzt, das eine stärkere Strahlung aussendete als etwa heutige Smartphones. Außerdem habe es sich bei seinem Tumor um eine seltene Tumor-Art gehandelt.
Im Mai 2016 hatte eine US-amerikanische Langzeit-Studie die öffentliche Aufmerksamkeit wieder auf die potentiellen Gefahren durch Mobilfunk-Strahlung gelenkt (Siehe unseren Artikel v. 29.05.16). Die von der US-amerikanischen Gesundheits-Behörde FDA in Auftrag gegebene Studie kam zu dem Ergebnis, daß die beim Mobilfunk verwendete gepulste elektromagnetische Hochfrequenz-Strahlung signifikant mit der Bildung von Tumoren korreliert.
Kurze Zeit darauf wurde dieses Ergebnis in den Mainstream-Medien allerdings heruntergespielt: Es gebe eine Vielzahl von Studien und in den meisten wurde kein Zusammenhang zwischen der Nutzung von Mobiltelefonen und Krebs festgestellt. Daß dieser Hinweis aus wissenschaftlicher Sicht nichtssagend ist, können Laien häufig nicht erkennen. Zum einen ist dieser Hinweis unwissenschaftlich, denn wenn eine Studie zum Ergebnis kommt, daß ein kausaler Zusammenhang nicht statistisch signifikant festgestellt werden konnte, heißt dies keineswegs, daß ein solcher Zusammenhang widerlegt wäre. Das wäre ebenso falsch wie zu behaupten, wenn eine Socke zehnmal in der Wohnung gesucht aber erst beim elften Versuch gefunden wurde, bewiesen die zehn Versuche, daß die Socke nicht existiert. Und zum anderen ist dieser Hinweis auch deshalb nichtssagend, weil es in der Wissenschaft nicht auf Mehrheiten ankommt, sondern darauf, ob eine Studie unter den gegebenen Versuchsanordnungen nachvollzogen werden kann oder nicht.
Ganz nebenbei sei hier erneut darauf hingewiesen, daß bei der heutigen Abhängigkeit der universitären Forschung von "Drittmitteln" - also: von Geldern aus der Wirtschaft - eine Vielzahl von Studien produziert wird, die im Versuchsdesign so angelegt sind, das (vom Geldgeber) gewünschte Ergebnis zu liefern.
In Italien hat das Urteil von Ivrea bereits große mediale Aufmerksamkeit erzielt. In Deutschland versucht das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS), das bekanntlich seit Jahren völlig unwissenschaftlich auch das Risiko radioaktiver Niedrigstrahlung verharmlost, abzuwiegeln. Aktuelle Studien gäben keinen Hinweis auf einen Zusammenhang zwischen Handystrahlung auf der einen und Tumorerkrankungen auf der anderen Seite. Die Frage, warum "aktuelle" Studien mehr Gewicht haben sollten als die im Mai 2016 veröffentlichte US-amerikanische Studie, bleibt hierbei offen.
Die renommierte Forscherin Elisabeth Cardis vom Centre for Research in Environmental Epidemiology (CREAL) in Barcelona, die an der im Mai 2016 veröffentlichten Studie beteiligt war, hatte bereits an der 'Interphone-Studie' mitgewirkt. Diese hatte 2010 eine deutliche Korrelation zwischen Krebserkrankungen beim Menschen und der Nutzung von Mobiltelefonen nachgewiesen. Demnach ist das Gliom-Risiko um 40 Prozent und das Meningeom-Risiko um 15 Prozent bei denjenigen erhöht, die ihr Mobiltelefon häufig und meist auf derselben Kopfseite benutzten. Diese Studie basierte auf der Auswertung von Befragungen von Mobiltelefon-NutzerInnen.
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
Anmerkungen
Siehe auch unsere Artikel:
Tödlicher Mobilfunk?
Handy und Hirntumoren (29.05.16)
Handy-Nutzung erhöht Risiko
von Gehirntumoren (13.05.14)
Big Brother hört mit
Hintertür per SIM-Karte (21.07.13)
Prism ist nichts Neues
Whistleblower macht latenten Skandal publik (7.06.13)
Big Brother liest mit
Allein im Jahr 2011: 2,9 Millionen eMails und SMS (5.04.13)
Dein Handy, der Bewegungsmelder
Mobilfunkanbieter speichern illegal (18.06.12)
Tödliche Strahlung
Schneller ins Jenseits mit Radio Vatikan (15.07.10)
Kein Schutz für Elektrosmog-Sensible
Immer weniger Mobilfunk-Löcher in Baden-Württemberg (16.10.09)
Freiburg: Mildes Urteil
gegen Elektrosmog-Sensiblen (8.09.09)
Handy-Studien
Betrug oder nicht Betrug? (30.06.08)
Heißes Material:
Mobilfunk verursacht Gehirntumore (18.04.07)
Mobilfunk
Die Gefahren durch Handy und Sendeanlagen (12.02.07)
Handy frittiert Gehirn
Max-Planck-Forscher: 100 Grad in der Zelle (21.08.06)
Vor vollendete Tatsachen gestellt:
Mobilfunkanlage im benachbarten Kirchturm (22.10.05)
Erhöhte Krebsrate
im Nahbereich von Strom-Masten (5.06.05)
Handy auf dem flachen Land
- hohes Hirntumor-Risiko (17.05.05)
Langzeit-Studie bestätigt
Gesundheitsrisiken von Handys (21.12.04)
Gehirnschäden
durch Handy und Föhn (22.02.04)
Krebs durch Mobilfunk ? (7.08.03)
Aktuelle schwedische Studie:
Handys gefährlicher als bisher vermutet (25.05.03)
Handy-Fieber (29.12.01)
Handys und Augenkrebs (25.01.01)
Handys
- Beweise für die Schädlichkeit? (30.12.2000)