10.09.2009

Massaker in Afghanistan?
Regelverletzung bei Bombardierung?

Afghanistan. Nach wie vor ist nicht eindeutig geklärt, ob und wieviele ZivilistInnen beim Bombenangriff auf zwei gekaperte Tanklaster am vergangenen Freitag zu Tode kamen. Aus den Reihen der NATO, der USA, Großbritanniens, Frankreichs und Spaniens kommt ungewohnte Kritik an der von einem deutschen Oberst befohlenen Bombardierung. Ob allerdings bei der Bombardierung Einsatzregeln verletzt worden sind, ist noch nicht geklärt.

Die deutsche Kriegsminister Franz Josef Jung verbittet sich Kritik an Oberst Georg Klein, kann aber nicht erklären, warum dieser die Tanklaster, die im Flußbett feststeckten, bombardieren ließ. Denn eine akute Gefährdung des deutschen Bundeswehrlagers in Kundus ging von diesen offenbar nicht aus. Zudem deutet alles darauf hin, daß am darauffolgenden Tag mit Bodentruppen ein effektiverer Einsatz gegen die Taliban-Kämpfer möglich gewesen wäre. Nach Darstellung der Bundeswehr hatte Klein verhindern wollen, daß die entführten Tanklaster als rollende Bombe gegen das sechs Kilometer entfernte Lager in Kundus eingesetzt würden.

In einem Bericht des Untersuchungsteams (Initial Action Team, IAT) ist festgehalten, daß die Tanklaster auf einer Sandbank im Fluß Kundus festsaßen. Es habe also keine unmittelbare Bedrohung bestanden. Auch sei der Befehl Kleins, die Tanklaster zu bombardieren, mit dem Hauptquartier der Internationalen Schutztruppe Isaf in Kabul nicht abgestimmt gewesen. Dies hätte aber geschehen müssen, da der Einsatz der beiden US-amerikanischen F-15-Kampfflugzeuge kein klassischer Fall von Luftnahunterstützung (Close Air Support) gewesen sei.

Die Frage nach der Regelverletzung wird immer mehr vor die Frage geschoben, ob und wieviele ZivilistInnen bei der Bombardierung ums Leben kamen. So wird die Frage nach der Regelverletzung vermutlich im Zentrum der jetzt anlaufenden offiziellen Untersuchung stehen. Close Air Support soll Bodentruppen helfen, die in akute Gefechte verwickelt sind. Ein militärischer Führer, der mit seiner Einheit beispielsweise in einen Hinterhalt gerät, kann diese Luftunterstützung anfordern. Dafür sind über Afghanistan ständig Kampfflugzeuge in der Luft, die binnen maximal 20 Minuten zu Hilfe kommen sollen.

Koordiniert werden diese Einsätze von einer Zentrale im Isaf-Hauptquartier in Kabul. Von dort erhalten bei unmittelbarer Gefahr die Flugzeuge ihren Einsatzbefehl. Die Piloten müssen sich, bevor sie ihre Bordkanone betätigen oder eine Bombe ausklinken, noch einmal bei dem Befehlshabenden vor Ort vergewissern, daß der Angriff tatsächlich ausgeführt werden soll. Daß die zentrale Koordinierungsstelle im Isaf-Hauptquartier sitzt, bedeutet nicht, daß das Isaf-Oberkommando vorab von jedem Einsatz erfährt.

Im Fall der Tanklaster, so viel dürfte feststehen, waren keine Bodentruppen in ein Gefecht verwickelt. Deshalb gewinnt die Frage der unmittelbaren Bedrohung entscheidende Bedeutung. Während Oberst Klein diese Gefahr offenbar gesehen hat und sich möglicherweise deshalb zum Abwurfbefehl autorisiert sah, verweisen die Isaf-Ermittler darauf, daß die Tanklaster und ihre Entführer schon seit zweieinhalb Stunden unter Beobachtung waren, bevor die Bomben fielen. Es wäre somit Zeit genug gewesen, sich mit dem Isaf-Hauptquartier abzustimmen. Widersprüchlich sind auch die Auskünfte zu der Frage, warum Oberst Klein keine Bodentruppen entsandt hat, um die Entführer der Tanklaster zu fassen oder zu vertreiben. Laut Ministeriumssprecher Thomas Raabe hätten "bestimmte Fähigkeiten" - zum Beispiel Schützenpanzer - Marder, nicht zur Verfügung gestanden.

Dennoch wäre ein Einsatz von Bodentruppen nicht ausgeschlossen gewesen. In Offizierskreisen ist zu hören, daß die Bundeswehrkräfte in der Anti-Taliban-Operation Aragon gebunden gewesen seien, die in einem Raum 60 Kilometer nordöstlich von Kundus im Gange ist. Erst in der Nacht zum Donnerstag sind dort wieder Bundeswehr-Soldaten unter Beschuß geraten. Nach Angaben der Bundeswehr wurde keiner von ihnen verwundet. In der Zeit der Kommandatur Oberst Kleins seien bereits vier Soldaten zu Tode gekommen.

 

REGENBOGEN NACHRICHTEN

 

Anmerkungen

Siehe unsere Artikel zum Thema:

      Afghanistan-Krieg: ZivilistInnen getötet
      bei Bombardierung zweier Tanklaster? (7.09.09)

      Afghanistan:
      Sayed Parvez Kambakhsh ist frei (6.09.09)

      Afghanistan-Krieg: 'Welthungerhilfe' kritisiert
      Vermischung von Aufbauhilfe und Militäreinsatz (16.08.09)

      Aufbauhilfe oder Unterdrückung?
      Afghanistan und die westlichen Milliarden (31.03.09)

      Wegen angeblicher Gotteslästerung mit Todesstrafe bedroht
      ai kämpft für Freilassung des 23-jährigen afghanischen
      Journalistik-Studenten Sayed Parvez Kambakhsh (22.10.08)

      Sozialabbau und Afghanistan (4.08.08)

      Deutschland wird tiefer
      in Afghanistan-Krieg hineingezogen (6.02.08)

      Heroin für die Welt
      Afghanistan bricht unter US-Protektorat alle Rekorde (30.11.07)

      Pseudo-Grüne Renate Künast verunglimpft
      afghanische Frauenrechtlerin Malalai Joya (12.10.07)

      Frauen werden als Währung gehandelt
      Ungebrochene Warlord-Kultur in Afghanistan (6.10.07)

      Afghanistan: Raubzug ohne Rücksicht
      Mohnernte liefert neuen Drogenrekord (27.06.07)

      Deutsche Soldaten in Afghanistan zeigen ihr wahres Gesicht
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      Afghanistan - Eine Bilanz der "Befreiung" (23.05.03)

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