16.07.2015

AKW Beznau am Ende?
14 Jahre vor "Atom-Ausstieg"

AKW Beznau auf Aare-Insel - Foto: Roman Wäldin
Das weltweit älteste Atomkraftwerk steht möglicher Weise vor dem Aus. Nach Auskunft des Betreiber-Konzerns Axpo wurden "Schwach­stellen" im Reaktordruckbehälter I des AKW Beznau entdeckt. Dieser war vor 46 Jahre in Betrieb genommen worden.

Die Schweizer Regierung hatte - ähnlich wie die deutsche - im Jahr 2011 einen "Atom-Ausstieg" verkündet. Demnach sollten die Atomreaktoren "nur" 50 Jahre in Betrieb bleiben. Dies hätte bei Reaktor I des AKW Beznau, der 1969 in Betrieb ging, - theoretisch - eine Abschaltung im Jahr 2019 bedeutet. Im Dezember 2014 wurde auch dies - theoretisch - wieder zurückgenommen und für Beznau I wurde ein Abschalt-Termin im Jahr 2029 in Aussicht gestellt.

Laut Betreiber-Konzern Axpo soll Reaktor I des AKW Beznau vorläufig bis Ende Oktober ausgeschaltet bleiben. Angeblich wurden bei einer Ultraschall-Untersuchung des Stahls von Reaktordruckbehälter I "Unregelmäßigkeiten" festgestellt. Ob es sich dabei um Lufteinschlüsse, Verunreinigungen oder Material-Veränderungen handelt, blieb offen. Ein vorläufiger Meß-Bericht soll der Schweizer Atomaufsicht ENSI vorgelegt worden sein.

Schon 2010 hatte der österreichische Werkstoffphysiker Professor Wolfgang Kromp vor der unterschätzten Versprödung des Stahls der Reaktordruckbehälter gewarnt. Diese Behälter, in denen sich die Brennstäbe mit Uran befinden, müssen hohen Drücken und Temperaturen und - im Falle der Schnellabschaltung - Temperaturschocks standhalten können.

Um die Stabilität der Reaktordruckbehälter-Wandung zu bestätigen, beschränkten sich Gutachten bislang auf indirekte Verfahren. Es wurden Materialproben derselben Legierung, aus der der Reaktordruckbehälter besteht, eingehängt, um ihre Materialeigenschaften von Zeit zu Zeit zu untersuchen. Laut Theorie würden diese demselben Neutronen-Beschuß ausgesetzt wie die Behälterinnenwand, sodaß deren Versprödung am Zustand der Materialproben abgelesen werden könne. Doch diese Proben stehen nicht unter der Materialspannung, unter der die gebogene Außenwand eines Zylinders steht. Mehr noch: Mit diesen Proben kann der Zustand von Schweißnähten laut Professor Kromp nicht einmal annähernd simuliert werden.

Im Sommer 2012 wurden bei der Revision des belgischen Reaktors Doel 3 mit Ultraschall-Untersuchungen unerwartete feine Risse im Stahl des Reaktordruckbehälters festgestellt. Wenig später wurden bei Ultraschall-Untersuchungen ähnliche Risse im Druckbehälter des Reaktors Tihange 2 festgestellt. ExpertInnen deuteten die Risse als sogenannte Wasserstoff-Flocken, Fehleinschlüsse bei der Herstellung des Reaktordruckbehälters. Daher wurden hauptsächlich alte Herstellungsunterlagen gesichtet. Eine komplette und genaue Untersuchung der Reaktordruckbehälter blieb aus. Herstellungsfehler konnten jedoch nicht belegt werden. Die belgische Atomaufsicht ordnete daher weitere Tests an und veröffentlichte im Dezember 2014, daß dabei weitere Tausende Risse in den Reaktordruckbehältern gefunden worden waren, deutlich mehr als erwartet. Insgesamt wurden 13.047 Risse im Druckbehälter von Doel 3 und 3.149 Risse im Druckbehälter von Tihange 2 entdeckt.

Nach den alarmierenden Ergebnissen der Untersuchungen in den beiden belgischen Atomkraftwerken sprach der Leiter der belgischen Atomaufsicht FANC (Federal Agency for Nuclear Control), Jan Bens, von einem möglichen "globalen Problem für die gesamte Nuklear-Industrie". Bens empfahl daher in einem Interview mit dem nationalen belgischen TV eine akkurate Untersuchung aller 435 Atom-Reaktoren weltweit. "Wir haben unsere internationalen Kollegen bereits informiert und beraten.“ Auch an den Untersuchungen in Belgien beteiligte WissenschaftlerInnen warnen vor einem unvorhersehbaren Versprödungs-Bruch in einem der weltweit 435 Atom-Reaktoren. Die Materialermüdung sei bislang offenbar unterschätzt worden. "Ich würde mich tatsächlich wundern, wenn das nirgendwo anders auch aufgetreten wäre," sagte Walter Bogaerts von der Universität Leuven.

In der Schweiz äußerten sich nun ExpertInnen, die von der Atom-Industrie abhängig sind: Sie "gehen davon aus" - sie vermuten also - , daß die im AKW Beznau entdeckten "Schwachstellen" bereits bei der Herstellung des rund 10 Meter hohen Reaktordruckbehälters mit einer Wandstärke von 18 Zentimetern entstanden seien. Und im Schweizer TV hieß es, der Reaktordruckbehälter sei mit "neuesten Meß-Technologien" untersucht worden.

Offenbar werden nun die Warnungen aus Belgien und Österreich in der Schweiz ein wenig ernster genommen: Nun soll "bereits" im August Reaktor II früher als ursprünglich geplant vom Netz genommen werden und "auf mögliche Unregelmäßigkeiten" geprüft werden. Schon jetzt jammerte Axpo-Sprecher Antonio Sommavilla, das AKW werde wochenlang keinen Strom produzieren können und dies habe Verluste von 50 Millionen Schweizer Franken zur Folge.

Im Februar 2015 hatte der belgische AKW-Betreiber Electrabel angekündigt, einen seiner derzeit noch mit Betriebs-Genehmigung ausgestatteten Reaktordruckbehälter zu "opfern", um daran direkte Material-Untersuchungen vor dem unbefriedigenden Hintergrund der wenig geklärten und extrem beunruhigenden Riß-Phänomene vornehmen zu können. Bis heute gelangten jedoch keine weiteren Informationen an die Öffentlichkeit.

In Deutschland hätte längst etwa der Reaktordruckbehälter des im Jahr 2005 nach knapp 37 Jahren Betriebszeit stillgelegten AKW Obrigheim auf Versprödung untersucht werden können. Doch dies wird mit aller Macht verhindert. Auch die "grün-rote" baden-württembergische Landesregierung erweist sich hierbei als verläßliche Gehilfin der Atom-Konzerne.

 

REGENBOGEN NACHRICHTEN

 

Anmerkungen

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