Im französischen Atomkraftwerk Fessenheim ist Reaktor II nach mehr als neun Monaten wieder hochgefahren worden. Nach einer "Zehnjahresinspektion" hatte das AKW, dessen beide Reaktorblöcke seit 1977 in Betrieb sind, bereits im Juli 2011 einen "Persilschein" für den Weiterbetrieb erhalten. Reaktor I ist seit November wieder am Netz.
Nach Aussagen des Betreiber-Konzerns EdF haben "Reparatur- und Verbesserungsarbeiten" mehr als 200 Millionen Euro gekostet. Atomkraft-GegnerInnen bezeichnen das Uralt-AKW dennoch weiterhin als "extrem gefährlich", da seine Betonhülle mit einer Stärke von 80 Zentimetern nach wie vor beispielsweise nicht einmal dem gezielten Absturz eines Cessna-Kleinflugzeugs standhalten kann, geschweige denn dem eines gekaperten Linienflugzeugs nach Vorbild des 11. September 2001.
Das Wiederhochfahren von Block II fand heute exakt zum 35. Jahrestag des Betriebsbeginns des ältesten französischen Atomkraftwerks am 7. März 1977 statt. Nach Betreiber-Angaben war "die größte Aufgabe" der Austausch von drei Dampferzeugern. Die Reaktordruckbehälter jedoch, die wegen der Neutronenstrahlung zunehmend verspröden, können in einem Atomkraftwerk nicht ausgetauscht werden. Die Atom-Reaktoren, die lediglich für eine Betriebsdauer von 25 Jahren ausgelegt sind, hätten wegen der Versprödung der Reaktordruckbehälter spätestens im Jahr 2002 stillgelegt werden müssen.
Bereits im Herbst 1979 wurden durch die Aussagen eines vormaliger Sicherheits-Ingenieurs Risse an den Stutzen des Reaktordruckbehälters von Block I bekannt. In den Jahren 1991 und 1996 kam zu Tage, daß sich in den Deckeln der Reaktordruckbehälter Risse gebildet hatten. Die jeweils 54 Tonnen schweren Deckel wurden ausgetauscht.
Wegen kosmetischer Auflagen der französischen Atom-Aufsicht ASN im Juli 2011 soll die Beton-Bodenplatte des AKW Fessenheim verstärkt werden. Die Betonplatte ist nur eineinhalb Meter dick und somit die dünnste aller französischen Atomkraftwerke. Bei einem schweren Unfall mit Kernschmelze bieten eineinhalb Meter Beton für die lava-ähnliche Masse keine nennenswerte Barriere und eine radioaktive Verseuchung des Rheins wäre kaum mehr zu verhindern.
Der französische "Pannenmeiler" ist nur 24 Kilometer vom Stadtzentrum Freiburgs und rund 35 Kilometer von Basel entfernt. Die Schweizer Stadt Basel wurde im Jahr 1356 bei einem Erdbeben, das auf eine Stärke von 6,5 auf der Richterskala geschätzt wird, weitgehend zerstört. Die gesamte Rheinebene, in der sich das AKW Fessenheim befindet, ist ein Erdbebengebiet.
Rund einen Monat bevor das AKW Fessenheim durch die ASN den "Persilschein" für den Weiterbetrieb erhielt, war bekannt geworden, daß das am Rheinseitenkanal gelegene Atomkraftwerk nicht ausreichend gegen die Folgen eines Dammbruchs gesichert ist (siehe unseren Artikel vom 14.06.11). Der Betreiber EdF hatte bis dahin immer behauptet, das AKW sei gegen Überflutungen in Folge eines Dammbruches geschützt. Doch laut einer TV-Dokumentation auf 'France 2' hielt der Konzern einen internen Bericht zurück, in dem katastrophale Untersuchungsergebnisse über den Zustand des Rheinseitenkanals zu lesen sind.
Das Atomkraftwerk mit seinen beiden Druckwasser-Reaktoren à 880 Megawatt wurde direkt am Rheinseitenkanal erbaut, um so letztlich dem Rhein die gigantische Abwärme in Höhe von rund zwei Drittel der Gesamtenergieerzeugung aufzubürden. Bei einem Erdbeben können laut des im Auftrag der regionalen Überwachungskommission und des Regionalrates in Colmar erstellten und im Juni 2011 veröffentlichten Gutachtens die Betonplatten des Rheinseitenkanals brechen. In der Folge kann das AKW-Gelände innerhalb von acht bis neun Stunden einen Meter hoch überflutet werden. Ein Super-GAU wäre dann kaum mehr zu verhindern.
Am 27. Dezember 2009 war es zu einer Notabschaltung des AKW Fessenheim gekommen, die zunächst - wie üblich - heruntergespielt wurde. Erst im Februar 2010 kam zutage, daß die Verstopfung des Kühlsystems von Reaktorblock II, die zur Notabschaltung geführt hatte, ein hohes Risiko-Potential birgt (siehe unseren Artikel vom 23.02.10). Angeschwemmtes Pflanzenmaterial aus dem Rheinseitenkanal war in die Ansaugrohre des Reaktorkühlsystems geraten. In der Folge versagte ein Meßfühler an einem Trommelsieb, welches das Wasser filtern sollte. Danach versagte die automatische Abschaltung und das Trommelsieb wurde aus der Verankerung gerissen.
Bereits in der Nacht vom 1. auf 2. Dezember 2009 war es in einem der vier Blöcke des AKW Cruas wegen angeschwemmten Treibguts aus der Rhône zu einer Notabschaltung und in der Folge zur Auslösung eines "Notfallplans" gekommen (siehe unseren Artikel vom 2.12.09). Der Vorfall mußte selbst von der französischen Atom-Aufsicht ASN als der Schwerste der vier vorangegangenen Jahre eingestuft werden. Dennoch wurden die in zeitlich so kurzem Abstand eingetretenen "Pannen" in den beiden französischen Atomkraftwerken zunächst nicht im Zusammenhang betrachtet. Erst ein Gutachten der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETH) zu dem mit vergleichbaren Mängeln behafteten AKW Mühleberg ergab, daß erhebliche Gefahren von einem Verstopfen des AKW-Kühlsystems durch Treibgut ausgehen.
In jedem Atomkraftwerk wird jährlich pro Megawatt elektrischer Leistung die Radioaktivität einer Hiroshima-Bombe erzeugt. Umgerechnet auf die beiden Reaktorblöcke des AKW Fessenheim bedeutet dies, daß dort in jedem Betriebsjahr die kurz- und langlebige Radioaktivität von 1.760 Hiroshima-Bomben entsteht. Die Freisetzung auch nur eines geringen Teils dieser Radioaktivität hätte verheerende Folgen für alles Leben in der gesamten Region. Als Folge einer Reaktorkatastrophe kann bei der meist vorherrschenden Windrichtung ein Territorium bis in den Raum Nürnberg-Würzburg für Jahrzehnte unbewohnbar werden.
Seit vielen Jahren setzen sich Umwelt- und Anti-Atom-Bewegung im Dreyeckland, der Region im Dreiländereck Frankreichs, Deutschlands und der Schweiz, für die Stilllegung des AKW Fessenheim ein. Die Anti-Atom-Gruppe Freiburg mobilisiert für den Fukushima-Jahrestag, Sonntag, 11. März, zusammen mit ihren elsässischen Schwester-Organisationen zur Teilnahme an der Internationalen Menschenkette im Rhônetal. (www.antiatomfreiburg.de).
Anmerkungen
Siehe auch unsere Artikel:
25.000 bei Anti-Atom-Protesten in Frankreich
Peinlicher Auftritt einer Präsidentschaftskandidatin (16.10.11)
Nuklear-Nomade im AKW Fessenheim verstrahlt
Krebs bei 1.600 Euro im Monat? (23.09.11)
Brücken-Aktion am Rhein
Forderung nach sofortiger Stilllegung
des AKW Fessenheim (18.09.11)
Explosion in Nuklear-Anlage Marcoule
Ein Toter (12.09.11)
Witz der Woche
Der gleiche strenge Stress-Test... (10.08.11)
AKW Fessenheim
bekommt Persilschein (6.07.11)
AKW Mühleberg abgeschaltet
Schwere Vorwürfe gegen Schweizer Atom-Aufsicht ENSI (4.07.11)
Menschenkette am AKW Fessenheim
Für sofortige Stilllegung (27.06.11)
Anne Lauvergeon, eine der härtesten
Atomkraft-Kämpferinnen tritt ab (18.06.11)
Studie: AKW Fessenheim nicht ausreichend
gegen Dammbruch gesichert (14.06.11)
"Panne" im AKW Fessenheim
fünf Tage verspätet bekanntgegeben
Radioaktivität ausgetreten (7.04.11)
Sarkozy und die Atombombe
für Gaddafi (23.02.11)
Reihe schwerer Sicherheitsmängel
in französischen AKW (22.02.11)
Erhöhtes Risiko im AKW Fessenheim
20 Prozent Meßungenauigkeit bei Druck-Sensor (4.02.11)
Schrott-AKW Tricastin
ASN verlängert Laufzeit um 10 Jahre (6.12.10)
AKW Flamanville
Dach eingestürzt (5.12.10)
AKW Fessenheim: Kurzschluß
Automatische Abschaltung von Block I (20.10.10)
Radioaktives Cäsium im Kanal
beim AKW Fessenheim (14.10.10)
Radioaktive Wolke aus AKW Fessenheim
erst nach über einem Monat publik (26.09.10)
Rheinerwärmung durch AKW Fessenheim
Gastbeitrag von Axel Mayer (16.07.10)
Brand im AKW Fessenheim
Keine Nachricht in deutschen Mainstream-Medien (15.07.10)
Frankreich: Laufzeitverlängerung auf 40 Jahre
kostet 600 Millionen Euro pro Reaktor
AKW Fessenheim bis 2017? (27.06.10)
"Störung" im AKW Fessenheim
im Dezember gravierender als bislang bekannt (23.02.10)
Verbrecherische Menschenversuche
bei französischen Atombomben-Tests (17.02.10)
"Störung" im AKW Fessenheim
Reaktor konnte nicht hochgefahren werden (27.12.09)
Atomenergie verursacht Stromlücke
in Frankreich (18.12.09)
Notabschaltung im französischen AKW Cruas
Hauptkühlsystem verstopft (2.12.09)
Streit um die neue Atomkraftwerks-Linie EPR in Frankreich
Sicherheitsbehörden kritisieren elektronisches Steuerungs-System
(3.11.09)
AKW Fessenheim undicht
13.000 Liter Diesel-Öl versickerten im Boden (29.10.09)
Unverantwortlicher Umgang mit dem hochgiftigen
Bombenstoff Plutonium (15.10.09)
EU: Siemens an Kartell beteiligt
Straffreiheit wegen Kooperation (7.10.09)
Demo gegen Atomkraft mit 10.000 TeilnehmerInnen in Colmar
Massive Behinderungen durch Polizei (4.10.09)
Ende des finnischen AKW-Neubaus Olkiluoto?
Areva droht mit Baustop (1.09.09)
Der Rhein wird aufgeheizt
AKW Fessenheim mit maßgeblichem Beitrag (30.06.09)
Terrorziel Atomkraftwerk
TV-Magazin 'Frontal21' veröffentlicht Geheimbericht (17.06.09)
Erdbeben der Stärke 4,5 bei Steinen
AKW Fessenheim nach wie vor unsicher (5.05.09)
Euratom,
Milliarden-Subventionen und die Bombe (22.04.09)
IAEA: AKW Fessenheim
entspricht nicht internationalen Standards (8.04.09)
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Reaktor seit Samstag abgeschaltet (6.03.09)
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AKW Fessenheim für weitere Jahrzehnte?
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Fortlaufende Pannen beim Bau
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Erneute Leckage (18.07.08)
Nach Unfall beim AKW Tricastin
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Neues EPR-Atomkraftwerk
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Erneut Leiharbeiter im AKW Fessenheim verstrahlt (27.11.07)
AKW Fessenheim: Arbeiter vor vier Tagen "leicht verstrahlt"
Informationen dürftig und zeitverzögert (27.10.07)
Laufzeit AKW Fessenheim bis 2017?
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Störfall im AKW Fessenheim verschwiegen
Laut 'TV Südbaden' bereits Anfang August (31.08.07)
Zwei Irre und die A-Bombe
Sarkozy offeriert Gaddafi AKW als Eintritt in den Club (27.07.07)
AKW Fessenheim mit schlechten Noten
49 "Störfälle" im Jahr 2006
Französische Atomaufsicht unzufrieden (5.07.07)
AKW Fessenheim: 30 Jahre tödliche Gefahr (7.03.07)
Der Anschlag auf Greenpeace
Französischer Geheimdienst tötete 1985 einen Menschen
beim Versenken der 'Rainbow Warrior'
Der siamesische Zwilling: Atombombe
Folge 4 der Info-Serie Atomenergie
Atomenergie in Frankreich
Folge 11 der Info-Serie Atomenergie