Kurras war anscheinend Stasi-Spitzel
Gegen Karl-Heinz Kurras, der den Studenten Benno Ohnesorg am 2. Juni 1967 in Berlin erschoß, ist erneut Strafanzeige erstattet worden. Neue Tatumstände gegen heute 81-jährigen ergeben sich anscheinend durch einen Aktenfund in der Stasi-Unterlagen-Behörde, aus dem hervorgehen soll, daß der damalige westberliner Polizist für die Stasi gearbeitet hat. Nach einem Bericht des Berliner Tagesspiegels bestreitet der in Berlin-Spandau lebende Pensionär, jemals mit der Stasi kooperiert zu haben.
Ein Motiv für den Mord geht aus den Unterlagen laut Medienmeldungen nicht hervor. Die neuen Vorwürfe gegen Kurras stammen von zwei Mitarbeitern der Stasi-Unterlagen-Behörde in Berlin, Helmut Müller-Enbergs und Cornelia Jabs. Aus den insgesamt 17 Aktenbänden gehe unter anderem hervor, daß sich Kurras am 26. April 1955 schriftlich zur Kooperation mit dem und Konspiration für den DDR-Staatssicherheitsdienst (Stasi) verpflichtet hatte.
Er erhielt demnach den Decknamen IM "Otto Bohl". Seine Aufgabe sei es gewesen, Informationen über die westberliner Polizei, Geheimdienste und Fluchthelferorganisationen zu sammeln. 1962 habe er einen Antrag auf Mitgliedschaft in der SED gestellt, in die er nach einer zweijährigen Kandidatenzeit 1964 endgültig aufgenommen worden sei. Auch ein Mitgliedsausweis der SED mit Foto und Unterschrift Kurras' wurde präsentiert. Im 'Heute Journal' des ZDF sagte Müller-Enbergs am Donnerstagabend, es gebe keine Hinweise darauf, daß Kurras von der Stasi mit der Ermordung des Studenten beauftragt worden sei, "und es erscheint auch nicht plausibel, daß er jemanden erschießen sollte".
Nach dem Tod Ohnesorgs war die DDR dem Bericht zufolge besorgt, daß die Stasi-Mitarbeit Kurras' auffliegen könnte. Das Ostberliner Ministerium für Staatssicherheit (MfS) habe nach dem Tod des Studenten an Kurras gefunkt: "Material sofort vernichten. Vorerst Arbeit einstellen. Betrachten Ereignis als sehr bedauerlichen Unglücksfall."
Im Gegensatz zur einheitlichen Darstellung der Mainstream-Medien, wonach sich der die Protest-Bewegung der "Achtundsechziger" nach der Ermordung Benno Ohnesorgs "radikalisiert" hätte, muß festgestellt werden, daß diese in den Jahren 1967 und 1968 bereits ihren Höhepunkt überschritt. Weder die Wiederbewaffung der BRD (1956), noch die Notstandsgesetze (1968), noch die Unterstützung der USA beim Vietnam-Krieg konnten verhindert werden. Die zunehmenden Tendenzen zur Legitimierung von Gewalt und zur Zersplitterung war eine Folge der Tatsache, daß die hoffnungsvollen Versuche einer Liberalisierung und Demokratisierung Westdeutschlands weitgehend erfolglos geblieben waren. Berufsverbote gegen "Radikale" und die Erstarrung des Staates im Abwehrkampf gegen eine kleine Zahl von TerroristInnen waren das Kennzeichen der 70er Jahre.
Benno Ohnesorg studierte in West-Berlin Romanistik und Germanistik. Das Studium begann er vor allem aus Interesse an der Kultur, zu der die Musik und insbesondere die Literatur gehörten. Während seiner Studienzeit war er Mitglied in einem Diskussionsklub und beteiligte sich an relativ wenig Demonstrationen. Er galt als Pazifist. Ohnesorg gehörte nicht zu den Leitfiguren der "Studentenbewegung". Am 2. Juni 1967 war er dabei, als es anlässlich des Deutschland-Besuchs des iranischen Kaiserpaares zu Protesten kam. Emörung unter StudentInnen und jungen ArbeiterInnen erregte vor allem, daß der Despot Schah Resa Pahlewi von Vertretern des deutschen Staates in allen Ehren empfangen wurde.
Bei der Demonstration - unter anderem vor der Oper, wo der Staatsgast einer Mozart-Aufführung lauschte, - griffen in Zivil gekleidete "Jubel-Perser" wehrlose DemonstrantInnen mit Knüppeln und Dachlatten an. Die Polizei schritt nicht gegen die "Jubel-Perser" ein, sondern prügelte zusammen mit diesen und mit äußerster Brutalität auf wehrlose DemonstrantInnen ein. Die Boulevardzeitung 'B.Z.' schreib damals allerdings: "Wer Terror produziert, muß Härte in Kauf nehmen."
Benno Ohnesorg wollte offenbar zivil gekleidete Polizisten beobachten, die am Rande der Proteste in einem Hinterhof auf StudentInnen einprügelten. Unter bis heute ungeklärten Umständen wurde er dort aus nächster Nähe von Karl-Heinz Kurras durch einen Kopfschuß ermordet.
Berlins Regierender Bürgermeister Heinrich Albertz (SPD) verteidigte derweil seine uniformierten Schlägertruppen: Die Polizei habe sich "bis an die Grenzen des Zumutbaren zurückgehalten". Albertz behauptete, der Tote und die Verletzten gingen auf das Konto der DemonstrantInnen, die gegen den Besuch des Schahs protestierten. Nachdem ein parlamentarischer Untersuchungsausschuß sowohl der Polizei als auch der politischen Führung "Versäumnisse" vorwarf, traten der Polizeipräsident, der Innensenator und schließlich, am 26. September 1967, auch Heinrich Albertz zurück: "Ich war am schwächsten, als ich am härtesten war, in jener Nacht des 2. Juni, weil ich dort objektiv das Falsche tat." Ausschlaggebend waren allerdings eher seine unwahren Äußerungen wie die von der "Zurückhaltung" der Polizei.
Kurras wurde in zwei Verfahren 1967 und 1970 vom Vorwurf der "fahrlässigen Tötung" freigesprochen. Die "Rechtsprechung" der damaligen Gerichte darf nicht verwundern, da bis heute in Deutschland kaum jemals PolizistInnen in vergleichbaren Fällen verurteilt wurden. Auffällig war jedoch, daß das Gericht wegen Unstimmigkeiten in der Darstellung Kurras' zu Verstehen gab, daß es Kurras' Schilderungen der Notwehr nicht glaubte.
Im Mai 2007 veröffentlichte Uwe Soukup ein Buch mit dem Titel "Wie starb Benno Ohnesorg?", in dem alle Ungereimtheiten des Verfahrens gegen Kurras noch einmal gewürdigt wurden. Vor dem Hintergrund der nun vorliegenden Informationen erscheint es plausibel, anzunehmen, daß Ohnesorg über die Spitzel-Tätigkeit Kurras' Bescheid wußte und diesen am Eingang zum Hinterhof des Hauses Krumme Straße 66/67 zur Rede stellte, weil er für prügelnde Polizisten-Kollegen Schmiere stand. Kurras fürchtete, der aufgebrachte junge Student könnte ihn enttarnen und seine Existenz zerstören...
REGENBOGEN NACHRICHTEN
Anmerkungen
Zum Thema BRD / DDR siehe auch unsere Artikel:
DDR-Schießbefehl aufgefunden
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