4.08.2013

Im Sommerschlußverkauf:
Gysi wirft Linkspartei auf den Grabbeltisch

Linkspartei im Sommerschlußverkauf
Der von den Mainstream-Medien zum "Spitzenkandidaten" erkorene Gregor Gysi weicht jetzt in der Hitze des August sogar Kernforderungen der Linkspartei auf. Doch obwohl er damit seine Partei auf dem Grabbeltisch des Sommerschlußverkaufs verramscht, winkt die "S"PD kühl ab.

Gegenüber dem US-Botschafter in Berlin, Philip Murphy, hatte Gregor Gysi schon 2009 zugesichert, daß die US-Regierung die Forderung der Linkspartei nach einem Austritt Deutschlands aus der NATO nicht ernst nehmen müsse. Dies geht aus Geheim-Dokumenten hervor, die Wikileaks im Dezember 2010 veröffentlichte (siehe unseren Artikel v. 20.12.10). Doch nun relativierte Gysi sogar öffentlich Kernforderungen der Linkspartei ganz ungeniert auf den Seiten von Deutschlands meistverkauftem Toilettenpapier (dem mit den vier Buchstaben).

Statt von den im Wahlprogramm im Juni vereinbarten Kernforderungen sprach Gysi von drei "zentralen" Punkten. Seine Partei würde keinem Koalitionsvertrag zustimmen, "der neue Kampfeinsätze der Bundeswehr nicht ausschließt und der nicht zu deutlich mehr sozialer Gerechtigkeit führt. Und wir müssen die Rentenangleichung zwischen Ost und West durchsetzen."

Keine neuen Kampfeinsätze - dies ist deutlich weniger als das, was die Linkspartei in ihrem Programm für die Bundestagswahl am 22. September fordert: Den "sofortigen, vollständigen und bedingungslosen Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan" sowie die "Beendigung aller anderen Auslandseinsätze." Auch vom "Ende der Rüstungsexporte und der Waffenproduktion in Deutschland" - diese Forderung teilen immerhin über 70 Prozent der Deutschen - ist bei Gysi keine Rede mehr (siehe unseren Artikel v. 16.06. 13). Und mehr "soziale Gerechtigkeit" könnte die "S"PD auch als Zustimmung zu Hartz IV interpretieren, da diese "rote" Partei nach wie vor den Sozialabbau unter Gerhard Schröder, der nicht einmal zehn Jahre zurückliegt, im Einklang mit Kanzlerin Angela Merkel als wirtschaftspolitische Großtat zur Beseitigung der Massenarbeitslosigkeit in die Geschichtsbücher schreiben möchte. Die Forderung "Hartz IV muß weg!" - ebenfalls eine der Kernforderungen des Wahlprogramms - verschweigt Gysi erst recht verschämt. Auch von der Forderung, die Einführung der Rente mit 67 Jahren rückgängig zu machen, ist nichts zu hören.

Gysis Sonderangebot im Sommerschlußverkauf paßt allerdings zu dem Kurs, den die im Juni 2012 neugewählte Doppelspitze aus Katja Kipping und Bernd Riexinger der Linkspartei verordnet hat (siehe unseren Artikel v. 4.06.12). Sowohl Kipping als auch Riexinger trieben die Anbiederung an die andere "rote" Partei bis an die Grenzen der Selbstaufgabe und reden immer wieder von einer "rot-rot-grünen" Koalition, als handele es sich dabei um eine reale Option. Schon allein die Wortwahl macht deutlich, daß neben Gysi auch Kipping und Riexinger den beiden Parteien, die zwischen 1998 und 2005 die Bundesregierung stellten, zugestehen wollen, bei ihnen handele es sich tatsächlich um eine "rote" und eine "grüne" Partei. Kipping und Riexinger vermeiden es auch auffällig, den Betrug mit dem Atomausstieg, den "Rot-Grün" 2001 verkündete, den Sozialabbau der Hartz-Gesetze, die Pro-Gentechnik-Ausrichtung per "Koexistenz"-Politik Renate Künasts, die Subventions-Milliarden für Kohle und AKW von Wirtschaftsminister Werner Müller, die Instrumentalisierung von Auschwitz durch Außenminister Joseph Fischer zur Rechtfertigung des Kosovo-Kriegs und die Beschönigung des Afghanistan-Kriegs durch Kriegsminister Peter Struck als "Verteidigung Deutschlands am Hindukusch" zu thematisieren.

Doch die Anbiederungsversuche werden von der "S"PD schroff abgewiesen. "Herrn Gysi ist offensichtlich die Hitze zu Kopfe gestiegen," erklärte SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles süffisant. Doch dessen ungeachtet träumt Gysi weiter: "Bereits jetzt gibt es große inhaltliche Schnittmengen etwa bei Mindestlöhnen, gleicher Bezahlung von Männern und Frauen und der Abschaffung des Betreuungsgeldes," erklärt der Linkspartei-Fraktionschef. "Ihr Wahlprogramm kann die SPD mit uns am besten umsetzen." Meint Gysi das wirklich ernst und glaubt er daran, daß diese Partei im Gegesatz zu 1998 ihr Wahlprogramm diesmal tatsächlich umzusetzen beabsichtigt? Oder träumt er vielleicht nur von einem gut dotierten Ministersessel? Der 'spiegel' kennt anscheinend Gysis Psychoanalytiker und schreibt, Gysi träume davon, Außenminister in einer "rot-rot-grünen" Koalition zu werden. Gysi sei schließlich inzwischen 65 Jahre alt und da müsse er sich zugleich darüber im klaren sein, daß die nächste Legislaturperiode voraussichtlich seine letzte im Bundestag sein werde.

Jenseits aller Spekulationen ist jedoch klar, daß im Bundeskanzleramt nach der Wahl am 22. September entweder Angela Merkel oder Peer Steinbrück residieren werden. Und angesichts dieser Alternative ist es ebenso witzlos von einer "Abwahl Angela Merkels" zu fabulieren wie es im Frühjahr 2011 in Baden-Württemberg angsichts der Alternative zwischen Stefan Mappus und Winfried Kretschmann realitätsfremd war, die "Abwahl von Mappus" zu propagieren.

 

REGENBOGEN NACHRICHTEN

 

Anmerkungen

Siehe auch unsere Artikel:

      Linkspartei beschließt Wahlprogramm
      Parteitag in Dresden (16.06.13)

      Neustart bei der Linkspartei?
      Kipping und Riexinger als Doppelspitze (4.06.12)

      Linkspartei: Lob der Diktatur
      Geburtstagsgrüße an Fidel Castro (21.08.11)

      Kurswechsel der Linkspartei
      beim Thema Atom-Ausstieg (14.05.11)

      Landtagswahl
      Recycling in Baden-Württemberg (27.03.11)

      Linkspartei Brandenburg weiter auf Rechtskurs
      Wirtschaftsminister Christoffers setzt sich mit CCS durch (7.03.11)

      Wikileaks-Enthüllung:
      Gysi schleimt bei US-Regierung
      Linkspartei wird "politikfähig" (20.12.10)

      Stuttgart 21
      Schlichtung oder schlicht Volksverdummung? (1.12.10)

      Linkspartei erwirkt Urteil:
      Schwarz-Gelb in Schleswig-Holstein verfassungswidrig (31.08.10)

      Nordrhein-Westfalen
      Berechenbare Linkspartei (11.07.10)

      Linkspartei nominiert Luc Jochimsen
      Gaucks Chancen schwinden (8.06.10)

      Lafontaine kontert Gabriel:
      "...aus Niederlagen nichts gelernt" (28.03.10)

      Eigentum und Herrschaft
      "Verfassungsschutz" überwacht weiterhin Linkspartei (16.03.10)

      Bundestags-Entscheidung zum Afghanistan-Krieg:
      Mehrheit erhöht Militär-Einsatz
      Linksfraktion setzt Zeichen (27.02.10)

      Offizielle Parteispenden über 20 Millionen Euro
      Rund 14 Millionen Euro für "C"-Parteien (16.02.10)

      Lafontaine zieht sich
      krankheitsbedingt in die zweite Reihe zurück (24.01.10)

      Rede in Saarbrücken
      Lafontaine markiert politische Eckpunkte (20.01.10)

      Linkspartei-Landeschefs für Lafontaine und Bartsch
      Richtungskampf um klare Konturen oder Anpassung (6.01.10)

      Haß-Kampagne gegen Lafontaine
      Deutsche Mainstream-Medien von FAZ über 'spiegel' bis 'taz'
      auf Toilettenpapier-Niveau (17.11.09)

      Brandenburg: Linkspartei auf Anpassungs-Kurs
      Neben Klima-Politik gehen auch soziale Inhalte über Bord (30.10.09)

      Brandenburg: Linkspartei fällt um
      Platzeck darf weiter klimaschädliche Braunkohle verstromen
      (19.10.09)

      Ramelow markiert Anpassungs-Kurs an "S"PD
      Anerkennung von NATO und Kapitalismus
      als Voraussetzungen für "Politikfähigkeit" (6.10.09)

      Kampagnen-Journalismus:
      'spiegel' verunglimpft Ulla Jelpke (8.09.09)

 

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