24.01.2009

Lafontaine zieht sich
krankheitsbedingt in die zweite Reihe zurück

Lafontaine In einer Medien-Konferenz am gestrigen Samstag gab Oskar Lafontaine zusammen mit Gregor Gysi im Karl-Liebknecht-Haus in Berlin bekannt, daß er im Mai nicht erneut für den Bundesvorsitz der Linkspartei kandidieren werde. Auch sein Bundestagsmandat will der 66-jährige Lafontaine "umgehend" zurückgeben. Er begründete diesen Rückzug in die zweite Reihe mit seinem gesundheitlichen Zustand nach einer Krebsoperation, der er sich kürzlich hatte unterziehen müssen. Seine Arbeit als Fraktions-Chef der Linkspartei im saarländischen Landtag wolle er fortführen.

Für Orakeleien aus den Reihen der Medien-VertrterInnen, sein Schritt bedeute ein Rückzug aus der Bundespolitik, hatte Lafontaine nur Spott übrig. Er erinnerte an die Inschrift, die das Orakel von Delphi einst zierte: "Gnôthi seautón" und übersetzte dies mit: "Erkenne dich selbst."

Lafontaine hatte ja schon mal die Erfahrung machen müssen, daß das Amt eines Parteivorsitzenden weit weniger Einflußmöglichkeiten auf die programmatische Ausrichtung bietet, als von Vielen angenommen wird - als SPD-Parteivorsitzender. 1998 mußte er nicht nur die Ausrichtung der SPD durch Gerhard Schröder zu einer neoliberalen Partei hilflos mitansehen und diesem den Vortritt als Kanzler-Kandidat lassen, sondern darüber hinaus war er gezwungen, öffentlich zu lügen, zwischen ihn, Lafontaine, und Schröder passe nicht mal ein Blatt Papier, so sehr seien sie einer Meinung. Daß er sich bei dieser Lüge zugleich grob verschätzte und Schröder als Kanzler sich an zuvor vereinbarte Absprachen mit Lafontaine nicht mehr gebunden fühlte, steht auf einem anderen Blatt.

Ob Lafontaines Einfluß auf die Linkspartei nunmehr tatsächlich sinkt oder ob sein Rückzug vom Amt des Bundesvorsitzenden sich im Gegenteil als kluger Schachzug erweist, wird die Zukunft zeigen. Lafontaine konnte es sich gestern jedenfalls nicht den Hinweis verkneifen, er werde von Saarbrücken aus "ab und zu etwas zur Bundespolitik" sagen.

Eine in den Mainstream-Medien ebenfalls häufig zu findende Orakelei besteht in der Sorge - oder Hoffnung - , die Linkspartei werde mit dem Entschluß Lafontaines nun in eine tiefe Depression gestürzt. Zumindest die Kreise der sogenannten Reformer, die jegliche programmatischen Eckpunkte als unnötigen Ballast auf dem Weg zu Regierungsbeteiligungen ansehen und die bereits in den vergangenen Wochen - völlig instinktlos - versuchten, das vermeintliche Vakuum an der Parteispitze zu entern, werden über den "Verlust" Lafontaines lediglich Krokodilstränen vergießen.

Für die SPD, die sich bislang darauf versteifte, Lafontaine als persona non grata abzutun und so der programmatischen Auseinandersetzung mit der Linkspartei auszuweichen, wird die Lage nun schwieriger. Als der derzeitige Lebensabschnitts-"S"PD-Vorsitzende Sigmar Gabriel umgehend erklärte, am Verhältnis zwischen "S"PD und Linkspartei werde der Rückzug Lafontaines "gar nichts" ändern, klang dies doch auffällig nach Selbstsuggestion.

Zwei Stunden vor der Medien-Konferenz hatte sich Oskar Lafontaine zum ersten Mal seit zwei Monaten wieder im Vorstand der Linkspartei zurückgemeldet und seinen Rückzug mitgeteilt. 2009 habe er "eine Reihe von gesundheitlichen Attacken zu überstehen" gehabt. Die Krebs-Operation war für Lafontaine "ein Warnschuß", den er "nicht so ohne weiteres wegstecken" könne. Lafontaine erinnerte auch - betont sachlich - an eine andere "existenzielle Krise", das Messer-Attentat von 1990, das ihn beinahe das Leben gekostet hatte. So schwer es ihm falle, es sei nun die Zeit gekommen, das Bundestagsmandat und auf dem Parteitag im Mai auch den Vorsitz abzugeben. Diese Entscheidung habe "nichts, aber auch gar nichts" mit den jüngsten Querelen in seiner Partei zu tun. "Ich wäre dankbar, wenn das respektiert werden könnte."

Gysi blieb beim gestrigen Auftritt nur eine Rolle, die dem begnadeten Selbstdarsteller wenig geläufig ist. So erklärte er seinen Respekt für den Schritt Lafontaines, der ihm "ausgesprochen weh" tue. Gysi würdigte Lafontaine wie bei einer Leichenrede als einen Mann, der über die Jahre nicht nur sein Parteifreund geworden sei, und als "herausragende Persönlichkeit" der deutschen und europäischen Politik. "Es ist völlig klar, er ist nicht ersetzbar." Kaum jemand habe in 40 Jahren so viel bewegt. "Die Partei die Linke hätte es ohne Oskar Lafontaine mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht gegeben."

In Zentrum der gestrigen Erklärung seines Rückzugs stellte Lafontaine die Mahnung an seine Partei, diese müsse auf ihre positiven Alleinstellungsmerkmale, auf nicht verhandelbare Positionen zu Mindestlohn, Afghanistan-Krieg, Hartz-IV und Rente ab 67 setzen. Nur dann werde sie auch künftig Erfolg haben. Wichtiger als Personen seien die Inhalte - und damit widersprach er indirekt Gregor Gysi.

 

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