Erler tritt Roth vors Schienbein
Bereits mehrfach hatte die "grüne" Vorsitzende Claudia Roth öffentlich geäußert, die großzügige Visa-Vergabe, die Außenminister Joseph Fischer seit 1999 gewährte, habe mit zur "orangenen Revolution" in der Ukraine1 beigetragen. Roth meinte, damit ihrem bedrängten Idol argumentativ beistehen zu können und von dem hierzulande in den Mainstream-Medien verbreiteten Glanz des als Demokratisierung verpackten Machtwechsels in der Ukraine auf Joseph Fischer übertragen zu können. Sie muß sich wohl sehr gewundert haben, daß dies bislang nicht die rechte Resonanz erfuhr und geradezu ignoriert wurde. Nur wer die Hintergründe kennt, weiß weshalb:
Roth beleuchtet mit ihrem unbedarften Hinweis das tatsächliche Motiv der "rot-grünen" Visa-Politik. Es war eine bewußte "Werbung für die West-Orientierung" in den GUS-Staaten im "wohlverstandenen" Interesse der deutschen Wirtschaft. Es ging und geht um den "Raum im Osten", die Osterweiterung der EU, um die Erweiterung des Absatzgebietes und die Rekrutierung von Billig-Lohn-Arbeitskräften (Beispiele: WAZ, E.on, Opel).
All dies soll nicht publik werden und so mimt der deutsche Außenminister - vorläufig - lieber den Unfähigen, der von der illegalen Visa-Praxis zwar unterrichtet war, diese jedoch aus multikultureller Lässigkeit jahrelang duldete. Die reichlich dick aufgetragene Schelte aus dem Unionslager wegen kaum nachweisbarer Auswirkungen der Visa-Praxis in Deutschland steckt er zudem locker weg. Doch Claudia Roths ungebremstes Mundwerk könnte Fischer weitaus gefährlicher werden und so mußte der "rote" Fraktions-Vize Gernot Erler als Vorstopper einspringen, um ihr kräftig eins vors Schienbein zu treten: Roths Hinweis auf die orangene Revolution sei "eine Argumentation mit der Brechstange".
Dabei weiß Erler genau: Es geht um die Wurst. Fällt Fischer, fällt unweigerlich die gesamte "rot-grüne" Koalition. Gegenüber der 'Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung' bezeichnete Gernot Erler den Umgang mit der Affäre als "Überlebensfrage" für die Koalition. Und insbesondere über die Verteidigungsstrategie der "Grünen"-Spitze in der Visa-Affäre hatte sich Erler bereits wiederholt beklagt.
Der "grüne" Co-Vorsitzende Reinhard Bütikofer hat jetzt zumindest "Versäumnisse" seiner Partei in der Visa-Affäre eingeräumt. Zugleich erkannte er, daß seine Partei "in der Debatte um die Verantwortung von Fischer in der Angelegenheit" an Glaubwürdigkeit verloren habe. Sorge bereitet dies allerdings ausschließlich in Hinblick auf die in wenigen Wochen anstehende Landtagswahl in NRW.
Treffen könnten die Auswirkungen der Visa-Affäre stärker die "Roten" als die "Grünen" und so drängt inzwischen auch der nordrhein- westfälische Ministerpräsident Peer Steinbrück zu einer baldigen Aussage Joseph Fischers im Visa-Untersuchungsausschuß des Bundestages. Damit durchbricht ein weiterer führender "Roter" die von Bundeskanzeler Schröder vorgegebene Linie der Schadens- eingrenzung.2
Steinbrück drängt wie zuvor bereits der "rote" Vorsitzende Harald Schartau auf Fischers baldige Aussage, für die es bislang keinen Termin gibt. Fischer und die Vertreter von "Rot-Grün" im Ausschuß wägen dabei zwischen zwei Faktoren ab: Angesichts der "komplizierten Sachlage" berge eine frühe Aussage die Gefahr, daß dicke Klöpse erst nach der Aussage bekannt werden könnten. Andererseits könnte mit einer frühen Aussage der politische Druck vor der NRW-Wahl gelindert werden. Steinbrück fürchtet: "Sonst könnte das Publikum doch glauben, die Angelegenheit solle über den Wahltag hinaus geschoben werde, weil da noch etwas unter der Decke ist."
Viele Unterlagen werden sicherlich bereits vernichtet sein. Doch es ist nicht auszuschließen, daß doch noch irgendwo ein Vermerk gefunden wird, der belegt, weshalb so lange eine illegale Visa-Praxis aufrecht erhalten wurden.
Adriana Ascoli
Anmerkungen
1 Siehe auch unseren Artikel
'Ukraine - Alles dieselbe Bagage' (1.01.05)
2 Siehe auch unseren Artikel
'NRW-"Rote" seilen sich von Fischer ab' (25.02.05)
Siehe auch unsere bisherigen Artikel zur Visa-Affäre
'Visa-Affäre: Schweige-Deal zwischen Fischer und Schily' (8.03.05)
'Visa-Affäre: Maulkorb für kritische Botschafter' (5.03.05)
'Toter in Visa-Affäre?'
Staatsanwalt in vorauseilendem Gehorsam: "Kein Zusammenhang"
(3.03.05)
'Fischers Büttenrede in Köln'
Applaus wie vereinbart (26.02.05)
'Warum die orthodoxe Linke zur Visa-Affäre schweigt'
Die wirtschaftlichen Hintergründe der Visa-Affäre
(25.02.05)
'NRW-"Rote" seilen sich von Fischer ab'
Das Krisenmanagement in der Visa-Affäre sei katastrophal
(25.02.05)
'Joseph Fischer nun doch erst später vor Visa-Ausschuß'
Visa-Mißbrauch bereits im März 2000 Thema im Kabinett
(24.02.05)
'Joseph Fischer nun doch bald vor den Visa-Ausschuß'
(22.02.05)
'Koch in Visa-Affäre verstrickt'
(19.02.05)
'Sensation im Visa-Ausschuß'
Fischers Praktiken waren illegal
(17.02.05)
'Fischers Visa-Affäre spitzt sich zu'
Brief vom Außenminister höchstselbst vom April 2000
(16.02.05)
'Joseph Fischers final flight?'
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