Erzbischof Emeritus Desmond Tutu ruft in einem Beitrag für die israelische Zeitung 'Haartez' zu einem internationalen Boykott Israels auf. Zugleich ermuntert er Israelis und PalästinenserInnen, jenseits ihrer Staatsführer nach einer nachhaltigen Lösung der Krise im "heiligen Land" zu suchen.
Zu Beginn erinnert Tutu an die aus seiner Sicht unverhältnismäßige Reaktion der israelischen Regierung, mit einer Militär-Offensive auf den Abschuß von Raketen von Gaza aus zu reagieren. Ungeschickter Weise jedoch vergleicht Tutu die weltweiten Demonstrationen gegen die israelische Aggression mit Demonstrationen gegen die Apartheid in Südafrika, an denen er vor einem Vierteljahrhundert teilnahm. Er schreibt, die TeilnehmerInnen-Zahl auf einer Demonstration gegen die israelische Militär-Offensive am Samstag, 23. August, sei ebenso groß, wenn nicht größer als damals gewesen. Dieser Vergleich ist nicht nur wegen der verschiedenen Umstände in Südafrika um 1990 und heute ziemlich schief.
Immerhin kann dieser Demonstration nicht der Vorwurf des Antisemitismus gemacht werden, denn die DemonstrantInnen kandierten die von Desmond Tutu vorgegebenen Worte uneingeschränkt mit: "Wir sind gegen die Ungerechtigkeit der illegalen Besetzung von Palästina. Wir sind gegen das willkürliche Morden im Gaza-Streifen. Wir sind gegen die Erniedrigung von Palästinensern an Kontrollpunkten und Straßen-Sperren. Wir sind gegen die von allen Beteiligten begangenen Gewalttaten. Aber wir sind nicht gegen Juden." Und Tutu fordert von den Israelis ein "Umdenken, das damit bricht, legitime Kritik an der Politik eines Staates als Angriff auf das Judentum zu verstehen".
Anfang der Woche forderte Tutu den Ausschluß israelischer Mitglieder aus der Internationalen ArchitektInnen-Vereinigung, die in Südafrika tagte. Zugleich bat er die "israelischen Schwestern und Brüder", die auf dieser Konferenz anwesend waren, darum, sich persönlich und auch in ihren beruflichen Aktivitäten "aktiv von dem Entwurf und der Konstruktion der Infrastruktur zu distanzieren, durch die das Unrecht aufrechterhalten wird". Hierzu zählt er die Mauer, die "Sicherheits-Stationen", die Kontrollpunkte und die Siedlungen, die auf besetzten Gebieten der PalästinenserInnen errichtet wurden. "Ich bitte Sie, diese Botschaft mit auf den Weg zu nehmen: Bitte wenden Sie das Blatt gegen Gewalt und Haß, indem Sie sich der gewaltlosen Bewegung für Gerechtigkeit für alle Menschen in der Region anschließen," sagte Desmond Tutu.
Der Friedensnobelpreisträger von 1986 weist darauf hin, daß die Unterstützung für eine internationale Kampagne gegen Firmen, die Profit aus der israelischen Besatzung und der Mißhandlung und Unterdrückung von PalästinenserInnen ziehen, immer stärker geworden sei. Die Kampagne richtet sich laut Tutu insbesondere gegen den niederländischen Rentenfonds ABP, Barclays Bank, den Anbieter von Sicherheitssystemen G4S, das französische Transportunternehmen Veolia, den Computerhersteller Hewlett-Packard und den Bulldozer-Produzent Caterpillar. Zudem seien in den vergangenen Monaten zweistellige Millionenbeträge aus israelischen Banken und geschätzte 21 Millionen US-Dollar aus HP, Motorola Solutions und Caterpillar durch die presbyterianische Kirche der USA abgezogen worden.
Das Kalkül Desmond Tutus ziel darauf ab, auch der israelischen Regierung werde - wie einst dem südafrikanischen Apartheid-Regime - allmählich bewußt, daß die Kosten für die Aufrechterhaltung des ungerechten Zustandes den Nutzen eindeutig übersteigen. Und er erklärt: "Diejenigen, die weiter mit Israel Handel treiben, die zu einem Gefühl der “Normalität” in der israelischen Gesellschaft beitragen, tun den Menschen in Israel und Palästina damit keinen Gefallen. Sie tragen damit nur zum Fortbestehen eines zutiefst ungerechten Status quo bei."
Einige neue Gedanken Tutus, der sonst immer an die Vernunft von Partei-PolitikerInnen und Herrschenden appellierte, überrascht: "Es wird immer deutlicher, daß Politiker und Diplomaten einfach keine Antworten finden und daß die Verantwortung, eine dauerhafte Lösung für die Krise im Heiligen Land zu erarbeiten, bei der Zivilgesellschaft und den Bewohnern Israels und Palästinas selber liegt." Er erinnert an den gewaltfreien Kampf in Südafrika in den 1980er-Jahren. Menschen, die sich im Streben nach einem gerechten Anliegen zusammentun, seien nicht aufzuhalten.
Desmond Tutu erinnerte an den Ausspruch Nelson Mandelas: "Die Südafrikaner werden sich nicht frei fühlen, bis auch die Palästinenser frei sind." Und Tutu fügt hinzu: "Die Befreiung Palästinas wird auch Israel befreien."
Anmerkungen
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