10.10.2009

Menschenrechte in Afghanistan

Veranstaltung im DGB-Haus Freiburg

Tilman Schmalzried von der 'Gesellschaft für bedrohte Völker' (GfbV) war auf Einladung des Friedensforums Freiburg, der Deutschen Friedensgesellschaft / Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG/VK) und der örtlichen Gewerkschaften zu einem Vortrag ins DBG-Haus gekommen. Die Situation der Menschenrechte in Afghanistan erläuterte er am Beispiel des 24-jährigen Journalismus-Studenten Sayed Parvez Kambakhsh, der im Oktober 2007 unter dem Vorwand der Gotteslästerung verhaftet und zum Tode verurteilt worden war. Nachdem zwischenzeitlich das Urteil in eine 20-jährige Haftstrafe umgewandelt wurde, kam Sayed Parvez Kambakhsh Ende August 2009 endlich frei und wurde außer Landes geschafft. (Siehe hierzu unsere Artikel v. 6.09.2009 und 22.10.2008).

"Die Freilassung des jungen Journalismus-Studenten gleicht der Ausbürgerung eines unbequemen Kritikers", erklärteTillmann Schmalzried. Dabei zielte das Todesurteil nicht nur auf Sayed Parvez Kambakhsh sondern vor allem auf dessen älteren, 29-jährigen Bruder Bruder Sayed Yaqub Ibrahimi. Der bekannte und mutige Journalist des Internationalen Instituts für Kriegs- und Friedensberichterstattung (IWPR) hatte 2007 eine Reihe kritischer Artikel über die Behörden und Warlords in den Provinzen Afghanistans verfaßt.

Sayed Yaqub Ibrahimi arbeitet bereits seit 2003 für das IWPR und ist ständiger Mitarbeiter ("stuff reporter") insbesondere im nordafghanischen Gebiet um Masar-i-Sharif, wo die deutsche Bundeswehr einen Stützpunkt unterhält. Im Zeitraum zwischen März 2004 und Januar 2009 veröffentlichte er rund 140 selbständig recherchierte Reportagen, die zum Teil unter Pseudonym veröffentlicht wurden und in denen er über die Verbrechen der Behörden und Warlords schonungslos berichtete. Er erhielt im März 2008 die Auszeichnung "Reporter des Jahres" in Italien.

In einem Ende 2006 erschienenen Bericht beschrieb er beispielsweise wie ein Mädchen entführt und von Warlords aus Kunduz gegen einen Kampfhund eingetauscht wurde - ein Tauschgeschäft zur Wahrung politischer Seilschaften. Im September 2007 veröffentlicht er einen Artikel über Kriegsfürsten, die sich nicht selten 14- bis 18-jährige Jungen und Mädchen als Sexsklaven halten. Seit Februar 2007 erhielt Sayed Yaqub Ibrahimi regelmäßig Morddrohungen, zunächst aus den Reihen des Usbeken-Warlords Abdul Rashid Dostum, der damals Generalstabschef der afghanischen Armee (ANA) war. Er hatte dem General den mit Waffengewalt erzwungenen Wahlbetrug im Vorfeld der Präsidentenwahl nachgewiesen. Kurz nach der Veröffentlichung eines Berichtes über den zur Jamiat-e Islami gehörenden Warlord Piram Qul, der einen Teil der nördlichen Provinz Takhar beherrscht, richteten sich die Drohungen jedoch nicht mehr nur gegen ihn selbst.

Am 30. Juni 2008 erschien ein Bericht, in welchem Sayed Yaqub Ibrahimi die Zusammenhänge zwischen der Machtstellung der afghanischen Warlords und dem illegalen Drogen- und Waffenhandel von Zentralasien nach Südafghanistan und Pakistan aufdeckte. Laut IWPR zwang dieser Bericht die afghanische Regierung den vielleicht größten Drogen-Waffen-Marktplatz der Welt - am Panj-Fluss an der tadjikisch-afghanischen Grenze - zu schließen.

Gegen die fortwährende Inhaftierung von Sayed Parvez Kambakhsh protestierten am 8. Juli 2008 in der Hauptstadt Kabul und 19 Provinzhauptstädten rund tausend afghanische JournalistInnen. Am 27. August 2008 folgte ein weiterer Bericht, mit dem es Sayed Yaqub Ibrahimi gelang, den Polizeichef der Provinz Sar-e Pol zum Rücktritt zu zwingen. Er hatte öffentlich gemacht, daß die Polizei die Vergewaltigung eines 12-jährigen Mädchens nicht verfolgt, sondern gedeckt hatte. Ein weiterer großer Anti-Warlord-Artikel kam am 27. Januar 2009 heraus: Nirgendwo sonst wird so detailliert beschrieben, wie Abdul Rahid Dostum, Abdul Malik Pahlawan und einige Taliban-Kommandeure versuchen, die Beweise für Kriegsverbrechen zu beseitigen, indem sie Massengräber ausräumen.

Schmalzried wies in seinem Vortrag auch darauf hin, daß der von den USA abhängige afghanische "Präsident" Hamid Karzai bereits im Jahr 2004 versprochen hatte, es werde in Afghanistan keine Todesurteile mehr geben, später dann aber selbst erneut solche unterschrieben hat.

In der anschließenden Diskussionsrunde ging es hauptsächlich um die Frage, wann sich die Besetzung Afghanistans beendet und wann insbesondere die deutschen Truppen aus Afghanistan abgezogen werden sollten. Unterschiedliche Ansichten bestanden, ob ein sofortiger Rückzug etwa noch mehr Unglück über das Land bringen könne als dies schon jetzt der Fall ist.

 

REGENBOGEN NACHRICHTEN

 

Anmerkungen

Siehe unsere Artikel zum Thema:

      Niederländisches Parlament beschließt
      Abzug aus Afghanistan bis Ende 2010 (8.10.09)

      Massaker in Afghanistan?
      Regelverletzung bei Bombardierung? (10.09.09)

      Afghanistan-Krieg: ZivilistInnen getötet
      bei Bombardierung zweier Tanklaster? (7.09.09)

      Afghanistan:
      Sayed Parvez Kambakhsh ist frei (6.09.09)

      Afghanistan-Krieg: 'Welthungerhilfe' kritisiert
      Vermischung von Aufbauhilfe und Militäreinsatz (16.08.09)

      Aufbauhilfe oder Unterdrückung?
      Afghanistan und die westlichen Milliarden (31.03.09)

      Wegen angeblicher Gotteslästerung mit Todesstrafe bedroht
      ai kämpft für Freilassung des 23-jährigen afghanischen
      Journalistik-Studenten Sayed Parvez Kambakhsh (22.10.08)

      Sozialabbau und Afghanistan (4.08.08)

      Deutschland wird tiefer
      in Afghanistan-Krieg hineingezogen (6.02.08)

      Heroin für die Welt
      Afghanistan bricht unter US-Protektorat alle Rekorde (30.11.07)

      Pseudo-Grüne Renate Künast verunglimpft
      afghanische Frauenrechtlerin Malalai Joya (12.10.07)

      Frauen werden als Währung gehandelt
      Ungebrochene Warlord-Kultur in Afghanistan (6.10.07)

      Afghanistan: Raubzug ohne Rücksicht
      Mohnernte liefert neuen Drogenrekord (27.06.07)

      Deutsche Soldaten in Afghanistan zeigen ihr wahres Gesicht
      Der Skandal ist die militärische Normalität (25.10.06)

      Medica Mondiale bestätigt: Der Afghanistan-Krieg
      brachte keine Verbesserung für die Lage der Frauen (24.08.04)

      Rechtfertigung für Afghanistan-Krieg
      läßt auf sich warten (27.05.04)

      B-T-C Baku-Tbilissi-Ceyhan
      Gezerre um das eurasische Pipeline-Netz (7.08.03)

      Afghanistan - Eine Bilanz der "Befreiung" (23.05.03)

      Krieg ist Frieden (28.11.01)

 

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