20.03.2005

Visa-Affäre:
Müntefering contra Fischer

Die Luft wird dünner

Die Luft um Außenminister Joseph Fischer wird immer dünner. Nachdem sich immer mehr "rotes" Spitzenpersonal aus dem im Wahlkampf befindlichen Nordrhein-Westfalen1 für eine baldige Vernehmnung des Vize-Kanzlers vor dem Visa-Untersuchungs- ausschuß des Bundestages ausgesprochen hat, macht nun auch der "rote" Parteichef Franz Müntefering Druck: Der Kompagnon von Kanzler Schröder soll schneller als bisher geplant aussagen.

Damit verläßt nun auch Müntefering die von Schröder vorgegebene Linie, sich nicht öffentlich zu äußern und darauf zu hoffen, daß sich die Enthüllungen um die bereits 1999 begonnene, illegale Visa-Praxis bis zur Wahl in NRW am 22. Mai totgelaufen haben. Müntefering nutzte den 'Deutschlandfunk' für seinen unsolidarischen Aufruf an Fischer.

In der - bislang für eine Finanz-Zeitung überraschend "Rot-Grün"- freundlichen - 'Financial Times Deutschland' ist inzwischen unter der Überschrift "Joschka allein zu Haus" reichlich Impertinentes, aber genau Beobachtetes zu lesen: "Der grauhaarige Herr neben dem Kanzler hält die blaue Aktenmappe fest unter den rechten Arm geklemmt. Gerhard Schröder gibt ausführlich Auskunft über den Jobgipfel und das Scheitern der Ministerpräsidentenwahl in Schleswig-Holstein. Der beleibte Herr hält respektvoll Abstand zum SPD-Regierungschef und blickt schweigend auf seine Mappe. Er wirkt dabei wie ein Bürogehilfe oder ein Saaldiener. Doch es ist Joschka Fischer, grüner Außenminister und früher zweitmächtigster Mann der Koalition."

Mitglieder des Diplomatischen Corps setzen sich auffällig von Joseph Fischer ab. Der "phänomenale Autoritätverfall" (FTD) ihres obersten Dienstherrn setzt die Bißhemmung sichtlich herab. So erklärt der frühere deutsche Botschafter in Moskau, Ernst-Jörg von Studnitz offen: "Es ist deutlich geworden, daß die Prüfdichte nicht ausreichte und daß viele Leute mit windigen Begründungen durchschlüpften." Erstmals wird damit Fischers Liberalisierung der Visa-Praxis von einem damals unmittelbar mit den Vorgängen Vertrauten mit dem Visa-Mißbrauch in einen kausalen Zusammenhang gebracht. Und auch DiplomatInnen im Außenministerium werden von der FTD zitiert: "Fischer stürzt und droht dabei das ganze Außenamt mit sich zu reißen."

Dabei muß immer wieder daran erinnert werden, daß es nicht allein um Schwarzarbeiter und Prostituierte ging, die über Deutschland unter anderem bis nach Portugal geschleust wurden: So hatten sich mit Hilfe des Fischer-Visums auch zwei tschetschenische Terroristen zeitweilig in Deutschland aufgehalten. Im Oktober 2002 waren diese beiden an der Geiselnahme im Moskauer Musicaltheater beteiligt, die - mit tatkräftiger Unterstützung russischer Sondereinheiten - 152 Tote zur Folge hatte. Deutliche Hinweise gibt es darüber hinaus, daß auch die albanische Mafia vom Fischer-Erlaß profitierte. Die Zahl der an der deutschen Botschaft in Tirana vergebenen deutschen Visa verdoppelte sich in den vier Jahren zwischen 1998 und 2002 von 8.000 auf 19.000.

Auflösungserscheinungen wie zuletzt bei "Schwarz-Gelb" vor der Wahl 1998 sind nun wieder zu beobachten: Im Außenministerium ist in den Arbeitspausen der Sturz Joseph Fischers Thema Nummer Eins. Und nicht anders ist es bei Telefonaten aus den Botschaften mit der Beliner Zentrale am Werderschen Markt. "Alle verbringen ihre Zeit damit, sich für die Zeit nach der Visa-Affäre und einen möglichen Wechsel an der Amtsspitze in Stellung zu bringen", erzählt ein Mitarbeiter des Außenministeriums laut FTD. Wie üblich würde ein neuer Minister die Schlüsselpositionen im Außenamt und in den wichtigsten Botschaften neu besetzen.

Immer mehr DiplomatInnen wagen es inzwischen, Indiskretionen an die "Schwarzen" weiterzugeben. Laut FTD ist geradezu eine Pilgerbewegung zu den Unions-Abgeordneten, die im Visa-Ausschuß sitzen, zu verzeichnen. "Die Schwarzen im Untersuchungsausschuss haben häufig viel früher Zugang zu Informationen aus dem Auswärtigen Amt als wir", klagt ein SPD-Parlamentarier. Auch JournalistInnen sind angesichts der Auskunftsfreudigkeit vieler Außenamts-MitarbeiterInnen überrascht.

Der Treuebruch gegenüber dem Dienstherrn wird dabei offen damit begründet, daß Joseph Fischer als erster gegen die Loyalitätspflicht verstoßen habe: "Fischer hat bei seiner öffentlichen Äußerung zur Visa-Affäre versucht, seine Fehler auf die Mitarbeiter im Amt abzuwälzen", erzählte ein Diplomat. "Mit dieser feigen Strategie hat er die Loyalität uns gegenüber gekündigt." Denn alle MitarbeiterInnen des Auswärtigen Amtes wissen, daß es Fischer war, der mit den Visa-Erlassen ab September 1999 von Diplomaten und Konsularbeamten verlangte, die Reisefreiheit vor die Sicherheits- belange des Landes zu stellen. "Mit diesem Erlaß hat Fischer den Berufsstand der Konsularbeamten lächerlich gemacht und sie zu Stempeldrückern degradiert", sagte ein Außenamts-Insider laut FTD. "Das verzeihen die ihm nie."

Der Bruch zwischen den DiplomatInnen und Joseph Fischer tritt aktuell vor allem deswegen so deutlich zutage, weil er bereits lange vor der Visa-Affäre begonnen hat. Schon seit langem klagen Außenamts- MitarbeiterInnen über Fischers unerträgliche Arroganz und seine Neigung, sich hinter einer kleinen Schar engster MitarbeiterInnen abzuschotten. Für noch größeren Unmut sorgte, daß Fischer einem Bedeutungsverlust des Ministeriums in der Außenpolitik scheinbar tatenlos zusah. Doch sein Status als beliebtester Politiker Deutschlands und als vermeintlich unverzichtbarer Pfeiler der "rot-grünen" Koalition machten jede Kritik bis vor kurzem unmöglich.

Doch nun ist es mit der Zurückhaltung vorbei. "Fischer hat zugelassen, daß die Entscheidungskompetenz in allen wichtigen außenpolitischen Fragen vom Auswärtigen Amt ins Kanzleramt gewandert ist", sagte ein Insider gegenüber FTD. Damit hat der Minister die Hoffnung seiner DiplomatInnen zerstört, dem Außenamt wieder den Einfluß zu geben, den es unter dem legendären Außenminister Hans-Dietrich Genscher hatte. Heute ist nach dem Urteil vieler Außenpolitiker das Gegenteil der Fall: Das Haus ist noch einflußloser als unter Fischers Vorgänger Klaus Kinkel, der weitgehend als "Ausfall" eingeschätzt wird.

"Schauen Sie auf die Chinapolitik, die Rußlandpolitik, die deutsch-französischen Beziehungen, das transatlantische Verhältnis, den deutschen Sitz im Uno-Sicherheitsrat oder die Europapolitik: Alle wichtigen Impulse kamen in letzter Zeit vom Kanzler und seinen Beratern, keiner vom Auswärtigen Amt. Fischer hat sich von Schröder in der Außenpolitik voll und ganz an den Rand drängen lassen," heißt es weiter. "Fischer hat mit seiner Humboldt-Rede zur europäischen Zukunft, mit der Petersberg-Konferenz zum demokratischen Aufbau Afghanistans und seiner Rede zur Reform des weiteren Nahen Osten international Debatten geprägt", sagte ein Diplomat gegenüber FTD. "Doch bei keinem Thema hat er nachgelegt."

Am "dramatischsten" wertet das Blatt den Einflußverlust in der Europapolitik. Nach der Bundestagswahl verhinderte Fischer noch Schröders Plan, dem Auswärtigen Amt die EU-Kompetenz zu entreißen und ein Europaministerium im Kanzleramt einzurichten. In der Realität haben die Diplomaten die Zuständigkeit dennoch verloren. "Ob Stabilitätspaktreform, EU-Haushalt, Wirtschaftsreformen oder Türkei-Beitritt, überall sitzen das Finanzministerium und das Kanzleramt am Steuer", zitiert FTD einen Europapolitiker.

Deutsche DiplomatInnen stehen auf dem Weg nach oben oft lange im Beförderungsstau. Umso aufmerksamer beobachten sie die Karrieren von KollegInnen. Eine, die für "Stirnrunzeln einmal rund um den Globus" sorgt, so ein Corps-Mitglied, ist die Berufung von Andreas Michaelis nach Brüssel. Die Blitzkarriere des 45-Jährigen ehemaligen Sprechers von Joseph Fischer ist sensationell. Der Minister hatte den "grün angehauchten" Diplomaten 2002 in einem Alter, in dem KollegInnen noch vom Posten eines stellvertretenden Referatsleiters träumen, als Botschafter nach Singapur geschickt. Jetzt soll er Leiter der Politischen Abteilung der deutschen EU-Vertretung und damit ständiger Vertreter im Politischen und Sicherheitspolitischen Komitee (PSK) der EU werden. Der Posten qualifiziert seinen Inhaber zur obersten Karrieresprosse - als Abteilungsleiter im Auswärtigen Amt oder Botschafter einer großen Vertretung.

Auch Martin Kobler, 51, wurde von Fischer wohl bedacht. Er machte den "grün denkenden" Diplomat nach drei Jahren als Chef des Ministerbüros zum Botschafter in Kairo. Zur offiziellen Stellvertreterin ernannte Fischer die Ehefrau. Damit brach Fischer mit der Regel, Ehepartner nicht in einem direkten Hierarchieverhältnis an derselben Botschaft unterzubringen. All dies sorgte bislang allenfalls für Getuschel hinter vorgehaltener Hand. Doch beim gegenwärtigen Bedeutungsverlust Fischers beschleunigt sich mit Bekanntwerden dieser Fälle von Ämterpatronage der Sturzflug.

 

Adriana Ascoli

 

Anmerkungen

1 Siehe auch unsere bisherigen Artikel zur Visa-Affäre

      'Visa-Affäre: Schwere Vorwürfe aus Köln'
      Otto Schily belastet (17.03.05)

      'Botschaften protestierten gegen Visa-Praxis'
      Rund ein Dutzend Botschaften... bereits im März 2000 (14.03.05)

      'Visa-Affäre: Argumentation "mit der Brechstange"'
      Erler tritt Roth vors Schienbein (13.03.05)

      'Visa-Affäre: Schweige-Deal zwischen Fischer und Schily' (8.03.05)

      'Visa-Affäre: Maulkorb für kritische Botschafter' (5.03.05)

      'Toter in Visa-Affäre?'
      Staatsanwalt in vorauseilendem Gehorsam: "Kein Zusammenhang"
      (3.03.05)

      'Fischers Büttenrede in Köln'
      Applaus wie vereinbart (26.02.05)

      'Warum die orthodoxe Linke zur Visa-Affäre schweigt'
      Die wirtschaftlichen Hintergründe der Visa-Affäre (25.02.05)

      'NRW-"Rote" seilen sich von Fischer ab'
      Das Krisenmanagement in der Visa-Affäre sei katastrophal (25.02.05)

      'Joseph Fischer nun doch erst später vor Visa-Ausschuß'
      Visa-Mißbrauch bereits im März 2000 Thema im Kabinett (24.02.05)

      'Joseph Fischer nun doch bald vor den Visa-Ausschuß'
      (22.02.05)

      'Koch in Visa-Affäre verstrickt'
      (19.02.05)

      'Sensation im Visa-Ausschuß'
      Fischers Praktiken waren illegal
      (17.02.05)

      'Fischers Visa-Affäre spitzt sich zu'
      Brief vom Außenminister höchstselbst vom April 2000
      (16.02.05)

      'Joseph Fischers final flight?'
      Schröders Treue im Bruch-Test
      Volmer nimmt die Rolle des Bauernopfers nicht an
      (14.02.05)

      'Volmer aus der Schußlinie genommen'
      In wenigen Tagen beginnt Visa-Untersuchungsausschuß (12.02.05)

      'Volmer beim Lügen ertappt'
      Hunderttausende verdient mit "auf dem Schoß sitzen" (10.02.05)

      'Bundestagsabgeordneter Volmer als Lobbyist enttarnt' (19.01.05)

 

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