In einem Gast-Beitrag für die israelische Zeitung 'Haartez' äußert Shabtai Shavit, früherer Chef des israelischen Geheimdienstes Mossad (1989 bis 1996), große Besorgnis um die Zukunft des Zionismus. Er fordert von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu eine neue Friedensinitiative auf der Grundlage des Vorschlags der Arabischen Liga von 2002.
Shavit begründet seine Sorge mit der aktuellen Lage, die auf der einen Seite gekennzeichnet sei von einer "kritischen Masse" an Bedrohungen und auf der anderen Seite von einer "Blindheit der Regierung und politischer und strategischer Paralyse". Er sei zum ersten Mal in seinem Leben "wirklich besorgt um die Zukunft des zionistischen Projekts".
Laut Shavit haben die Beziehungen zu den USA einen "beispiellosen Tiefpunkt" erreicht, während Europa, das er als den größten Handelspartner Israels sieht, "uns leid geworden ist und sich in Richtung auf Sanktionen gegen uns bewegt." Der Antisemitismus und der Haß gegen Israel hätten Dimensionen erreicht wie zuletzt in der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg. Zugleich ist nach seiner Analyse die öffentliche Diplomatie der gegenwärtigen israelischen Regierung "kläglich gescheitert" und die palästinensische Seite habe "etliche bedeutende Errungenschaften in der Welt" vorzuweisen.
Auch an den Universitäten des "Westens" - insbesondere in den USA - sei Israel auf dem absteigenden Ast: "Wir verlieren den Kampf um Unterstützung für Israel in der akademischen Welt," schreibt Shavit. Selbst eine zunehmende Zahl von jüdischen StudentInnen wende sich von Israel ab. Die globale BDS-Bewegung (Boykott, Desinvestition, Sanktionen) gegen Israel, die auf eine Delegitimierung Israels ausgerichtet sei, wachse und selbst einige JüdInnen seien Mitglieder.
Seine Analyse der politischen Ausrichtung der Netanjahu-Regierung gipfelt in der Kritik, er sehe "Hochmut und Arroganz im Zusammenspiel mit mehr als nur ein wenig messianischem Denken", das eiligst bestrebt sei, den Konflikt in einen Heiligen Krieg umzumünzen. Leider seien führende Kräfte in der religiösen zionistischen Bewegung dumm genug, den Konflikt in den grauenhaftesten aller Krieg zu verwandeln, in welchem die gesamte muslimische Welt gegen Israel stände.
Shavit bemüht einen drastischen historischen Vergleich: Der legendäre Bar Kochba hätte einst einen heldenhaften, aber aussichtslosen Kampf gegen das Römische Weltreich geführt bei dem am Ende Jerusalem fiel und ein 1900 Jahre andauernden Exil für das jüdische Volk begann. Der vernüftige und liberale Teil in der israelischen Gesellschaft würde wissen, was Exil heißt: Die Zerstörung Israels. Den religiösen Sektor würde das wohl nicht weiter erschrecken. Er lebe nur aus Gründen der Zweckmäßigkeit in Israel. Den Haredim-Anhängern würde Israel und Brooklyn das gleiche bedeuten; sie würden weiterhin als Juden im Exil leben und geduldig auf die Ankunft des Messias warten. Die religiöse zionistische Bewegung glaube, daß die Juden das auserwählte Volk Gottes seien. Für sie wäre das Land heilig, sie wären bereit, alles - selbst um den Preis des Scheitern - dafür zu opfern. Shavit erinnert hingegen an Menachim Begin, einem der Väter der Vision von einem Groß-Israel. Dieser habe, als er die Möglichkeit für einen Frieden mit Ägypten sah, den Sinai aufgegeben. Der Frieden wäre ihm wichtiger als das Land gewesen.
Der frühere Mossad-Chef fordert eine neue Friedensinitiative basierend auf dem Vorschlag der Arabischen Liga von 2002. Dieser könne die Grundlage für Gespräche der israelischen Regierung mit jenen der "gemäßigten" arabischen Staaten wie Saudi-Arabien und Ägypten bilden. Shavit hofft, damit eine ähnlich Entwicklung wie nach den Oslo-Vereinbarungen erreichen zu können. Fast jedes arabische Land hätte damals begonnen, mit Israel zu sprechen und sich an vielen kooperativen Projekten auf ökonomischen und anderen Gebieten zu beteiligen. Wenn sich gegenseitiges Vertrauen bilde, gäbe es Chancen für eine Wende zum Besseren. Eine solche Initiative verlange allerdings "echte und mutige Führerschaft".
Schon Anfang November hatten sich 106 ehemals führende Köpfe aus dem israelischen Militär und dem Geheimdienst öffentlich zu Wort gemeldet und eine "Diplomatie für den Frieden” gefordert.
Shavit endet seinen Gast-Beitrag für 'Haartez' mit einer Erinnerung an seine Eltern, "die ihr Leben dem Zionismus gewidmet" hätten. Er schulde diesen Beitrag nicht nur seinen Eltern, sondern auch seinen Kindern und Enkeln und der israelischen Nation, der er jahrzehntelang gedient habe.
Anmerkungen
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