Am Donnerstag protestierten in Paris und rund 200 französischen Städten rund 2,7 Millionen Menschen gegen die Pläne von Frankreichs Staats-Chef Nicolas Sarkozy, das Renteneintrittsalter von 60 auf 62 Jahre heraufzusetzen. Zum fünften Mal in diesem Jahr riefen die Gewerkschaften zu Streiks und Demos gegen diese Art von Rentenkürzung nach deutschem "schwarz-rotem" Vorbild auf. Die französische Regierung behauptet, gestern hätten sich deutlich weniger Menschen beteiligt als bei den Demos vor zwei Wochen.
Zu den Streiks und Demos hatten acht französische Gewerkschaften aufgerufen, die sich auch diesmal entgegen der unsolidarischen Tradition vergangener Jahre auf gemeinsame Aktionen verständigt hatten. Allerdings wächst die Gefahr, daß sich die Kräfte in der Funktionärsebene der Gewerkschaften durchsetzen, die einen anhaltenden Generalstreik vermeiden wollen und ihre Aufgabe lediglich darin sehen, mit Demos und kurzen Streiks "Dampf abzulassen" und so den Druck der Bevölkerung zu reduzieren. Aus vielen Äußerungen dieser Kreise ist zu schließen, daß sie auf einen Kompromiß mit der neoliberalen Sarkozy-Regierung abzielen.
In allen großen Städten des Landes beteiligten sich rund 40 Prozent der Angestellten der öffentlichen Dienste und mehr als die Hälfte der ArbeiterInnen aus privaten Betrieben. Die Gewerkschaftsführer Bernard Thibault von der CGT und François Chérèque von der CFDT, in denen zusammen rund 1,5 Millionen französischen ArbeiterInnen zusammengeschlossen sind, erklärten, daß sich erneut die selbe Zahl an Menschen am Protest bei insgesamt 232 Kundgebungen beteiligt hätten wie zuletzt am 7. September.
Bei den Kundgebungen in Paris nahmen rund 300.000 Menschen teil, in Marseille 220.000, in Bordeaux 120.00 und in Lyon 130.000. Die starke Teilnahme und das Drängen der Menschen auf einen anhaltenden Generalstreik wird von den französischen Mainstream-Medien mit Sorge betrachtet. Nach einer von der Tageszeitung 'Libération' in Auftrag gegebenen Umfrage sprachen sich 63 Prozent der Befragten für die Aktionen der Gewerkschaften aus. Die geplante Lastenverteilung bei der von Sarkozy als wichtigstes Vorhaben seiner Amtszeit bezeichneten "Renten-Reform" sei unsozial, lautet der häufigste Vorwurf. Allerdings halten nach anderen Meinungsumfragen rund 70 Prozent der französischen Bevölkerung eine "echte Reform" des Rentensystems durchaus für notwendig.
Besonders unter den jungen Beschäftigten im Alter zwischen 18 und 24 Jahren wächst der Zorn über den von Sarkozys immer deutlicher eingeschlagenen rechten Kurs, der sich gegen Minderheiten wie die Roma richtet und die finanziellen Belastungen der Weltwirtschaftkrise einseitig auf die ärmeren Schichten der Bevölkerung abzuwälzen versucht. Besonders unbeliebt ist die angekündigte "Renten-Reform". Sarkozy behauptet, es sei "unerläßlich", länger zu arbeiten, um das Defizit der Pensionskassen auszugleichen. Bis 2020 drohe ansonsten ein Defizit von 45 Milliarden Euro. Allein in diesem Jahr soll sich der Fehlbetrag auf 32,3 Milliarden Euro belaufen. Die Gewerkschaften und die linke Opposition fordern statt einer Umverteilung zu Lasten der Schwachen eine zusätzliche Besteuerung von Kapital und Finanztransaktionen.
REGENBOGEN NACHRICHTEN
Anmerkungen
Siehe auch unsere Artikel:
Protest in Frankreich
Gegen Sarkozys Renten-Reform (8.09.10)
Von der Leyens Hartz-IV-Reform
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