3.03.2009

Überkapazitäten
bei deutschen
Müllverbrennungsanlagen

NABU fordert Moratorium und Ausbau der Recyclingwirtschaft

Nachdem Anfang der 90er Jahre in Deutschland der weitere Ausbau von Müllverbrennungsanlagen (MVA) von einer Vielzahl von Bürgerinitiativen gestoppt werden konnte, ist die Müllproblematik weitgehend aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwunden. Der noch Ende der 80er Jahre in - von interessierte Seite in Auftrag gegebenen - Gutachten prognostizierte Anstieg der Müllmengen in Deutschland blieb aus. Wären die geplanten und von Bürgerinitiativen verhinderten MVA gebaut worden, gigantische Überkapazitäten in Deutschland wären die Folge gewesen. Der Widerstand der Bürgerinitiativen hat so Fehlinvestitionen in Milliardenhöhe verhindert.

Schleichend und von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen, wurden die Verpackungsabfälle, die über den 'Grünen Punkt' eingesammelt werden, in ihrer Bestimmung umgewidmet. Noch in den 90er Jahren wurde für den 'Grünen Punkt' damit geworben, daß die eingesammelten Materialien dem Recycling zugeführt würden. Die Kennzeichnung der verschiedenen Kunststoff-Sorten, mit deren Hilfe eine Trennung und ein echtes Recycling dieser Materialien aufgebaut werden sollte, wurde damals immerhin realisiert. Doch mittlerweile hat sich eine billigere Lösung durchgesetzt, die zugleich die Überkapazitäten der MVA bedient. Die Kunststoffe, die mit Hilfe des 'Grünen Punkts' eingesammelt werden, landen heute fast ausschließlich in MVA und dienen dort der Stützfeuerung ansonsten schwerbrennbaren Mülls. Dies wird heute euphemistisch als "energetisches Recycling" bezeichnet.

Auch die von "Rot-Grün" 1998 zu Beginn ihrer Regierungszeit versprochene Stützung des Mehrweg-Systems bei Getränken hat sich zu einem Trauerspiel entwickelt. Die Mehrweg-Quote sinkt von Jahr zu Jahr auf neue Tiefstände und die Branche der Mineralbrunnen, die auf ein funktionierendes Mehrweg-System angewiesen ist, steht vor dem Aus.

Im Osten Deutschlands kommt es seit Jahren regelmäßig zu Skandalen um illegale Deponien. Unternehmen sparen sich auf diese Weise die Gebühren für Weiterverarbeitung bzw. Verbrennung ihrer Abfälle. Auch von illegalen Exporten nach Osteuropa, Afrika oder Asien wird regelmäßig berichtet. Oft handelt es dabei um gefährlichen Sondermüll, der die Anwohner der Ablageplätze akut gesundheitlich gefährdet oder zur Verseuchung des Grundwassers führt.

Der Müll-Branche in Deutschland droht zudem eine strukturelle Krise. Eine im Auftrag der Umwelt-Organisation NABU vom Wirtschaftsforschungsinstitut prognos erstellte Studie kommt zu dem Ergebnis, daß in absehbarer Zeit große Überkapazitäten bei der Müllverbrennung drohen. Falls alle im Bau befindlichen oder geplanten Anlagen ihren Betrieb aufnähmen, könnten diese im Jahr 2020 bis zu 33 Millionen Tonnen Müll verbrennen. Die im Inland anfallende Menge werde aber maximal 27 Millionen Tonnen betragen.

Bei einem ökologisch und ökonomisch sinnvollen und auch von der EU geforderten Ausbau der Recyclingwirtschaft wird die Müll-Menge sogar weit unter 27 Millionen Tonnen liegen. Bereits jetzt sei Deutschland zum größten Müllimporteur in der EU avanciert, erläuterte NABU-Präsident Olaf Tschimpke heute (Dienstag) in Berlin bei der Vorstellung der Studie. 2007 betrug der Einfuhrüberschuß rund zwei Millionen Tonnen.

MVA lassen sich nur bei hoher Auslastung wirtschaftlich betreiben. Da mittlerweile fast zwei Drittel aller Anlagen entweder von Privatunternehmen oder in Private-Public-Partnership-Trägerschaft (PPP) betrieben werden, ist abzusehen, daß diese Firmen, aber auch kommunale Betriebe, alles versuchen werden, so viel Müll oder Kunststoffe wie möglich als "Futter" für ihre Anlagen zu bekommen.

Längst hat sich das lukrative Geschäft mit dem Abfall zu einem der am stärksten von Korruption geprägten Bereiche im Zusammenspiel von kommunalen Verwaltungen und privaten Investoren entwickelt. Überregional bekannt wurde der Kölner Müllskandal, wo ein Unternehmer hochrangige MitarbeiterInnen der Stadtverwaltung und Abgeordnete aller Stadtratsfraktionen schmierte, um die Genehmigung für eine offensichtlich überdimensionierte MVA zu erhalten. KennerInnen der Szene, wie der Korruptionsexperte und Buchautor Werner Rügemer, gehen davon aus, daß es ähnliche Vorgänge, wenn auch eine Nummer kleiner, in vielen Kommunen gab.

Der NABU befürchtet, daß ein Ausbau der Verbrennungskapazitäten zu Lasten der Recycling-Quote gehen wird. Dies würde dem Ziel einer nachhaltigen Wirtschaft und somit auch den vorgeblichen Intentionen der Abfallgesetzgebung diametral entgegenstehen. Für nicht ausgelastete MVA und deren hohe Betriebskosten würden hingegen die Bürger in Zukunft mit höheren Abfallgebühren belastet.

Die ökologische Dimension des Problems ist offensichtlich. Zum einen ist die Müllverbrennung, besonders bei den Kraftwerken mit einem hohen Anteil an Kunststoff-Verbrennung, alles andere als eine saubere Technologie. Außerdem sorgen die meist mit LkW durchgeführten Müllimporte für erhebliche CO2-Emissionen, so Tschimpke.

Angesichts der bevorstehenden Novellierung des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes forderte der NABU "neue Weichenstellungen". Durch konsequente Förderung der Müllvermeidung und der stofflichen Verwertung könnten Fehlanreize zum Ausbau der Müllverbrennung überwunden werden. Zumal laut einer EU-Untersuchung die Recyclingwirtschaft bezogen auf die verarbeitete Abfallmenge zwischen fünf- und siebenmal mehr Arbeitsplätze schafft als die Verbrennung. Ohnehin könne es sich ein rohstoffarmes Land wie Deutschland volkswirtschaftlich nicht leisten, auf die Gewinnung verwertbarer Grundstoffe und Halbfertigprodukte aus Müll, beispielsweise zur Wärmedämmung, zu verzichten. Der NABU fordert daher ein Moratorium beim Neubau und bei der geplanten Kapazitätserweiterung bestehender Anlagen. Auch das seinerzeit für Deponien geltende "Näheprinzip" müsse für die Verbrennung und Müllbehandlung eingeführt werden, um den lukrativen, aber ökonomisch und ökologisch desaströsen Mülltourismus einzudämmen.

Diese Forderungen werden allerdings bei "Schwarz-Rot" ebenso wenig Gehör finden wie bei der vorangegangenen Regierung. Allein die Renaissance einer mächtigen Umweltbewegung kann die dringend nötige politische Wende erzwingen.

 

REGENBOGEN NACHRICHTEN

 

Anmerkungen

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