In der mit rund 100.000 EinwohnerInnen viertgrößten Stadt des US-Bundesstaates Michigan ist das Trinkwasser seit März 2014 mit Blei und Bakterien vergiftet. Lange Zeit wurde die menschenunwürdige Wasserqualität von den Behörden geleugnet. Vermutlich sind zehn Todesfälle auf das verschmutzte Wasser zurückzuführen.
Die einstige Automobil-Stadt Flint erklärte sich 2011 für bankrott und steht seitdem unter staatlicher Zwangsverwaltung. Bis gegen Ende des zwanzigsten Jahrhunderts war die Stadt der größte Produktions-Standort des Automobil-Konzerns General Motors. Der Verlust der Arbeitsplätze führte zu einem Rückgang der Zahl der EinwohnerInnen um mehr als 25 Prozent. Über 30 Prozent der EinwohnerInnen leben heute unterhalb der Armutsgrenze und rund 40 Prozent der Immobilien stehen leer.
Eine der Kürzungen im städtischen Haushalt, den die vom Bundesstaat Michigan eingesetzte Verwaltung vornahm, betraf die Wasserversorgung. Flint wurde von den Wasserwerken Detroits abgekoppelt und sollte sein Trinkwasser künftig aus dem Huronsee beziehen. Mangels der hierfür nötigen Leitungen wurde im März 2014 das Wasser des Flint River angezapft. Die Wasser-Umstellung löste bei vielen EinwohnerInnen Empörung aus: "Das Wasser war braun, stank und hatte einen seltsamen Geschmack," so die langjährige Einwohnerin Rhonda Kelso gegenüber dem TV-Sender CNN. Die BürgerInnen beschwerten sich über die braune, verfault riechende Brühe, die aus ihren Wasserhähnen strömte. Immer mehr klagten über Hautausschlag, Übelkeit, Kopfschmerzen und Haarausfall.
Richard Snyder, der Gouverneur von Michigan erklärte damals jedoch unbeeindruckt, das Wasser sei sauber. Der - inzwischen abgewählte - Bürgermeister Dayne Walling trank sogar vor laufenden TV-Kameras demonstrativ aus einem Glas. Ein von Gouverneur Snyder eingesetzter Experte erklärte im Februar 2015: " Das Wasser kann man trotz der Verfärbung und einzelner Schmutzpartikel bedenkenlos trinken."
Eine kritische BürgerInnen-Initiative beauftragte die Universität Virginia Tech, Wassertests durchzuführen. Die WissenschaftlerInnen fanden heraus, daß das stark chloridhaltige Wasser des Flint River Schwermetalle - nicht nur Eisen, sondern auch Blei - aus alten Rohr-Leitungen ablöste: "Jeder zehnte Haushalt ist einem sehr hohen Blei-Gehalt ausgesetzt." - so das alarmierende Untersuchungs-Ergebnis. In manchen Fällen war der Blei-Gehalt sogar so hoch, daß das Wasser nach EPA-Standards in die Kategorie 'Giftmüll' fiel. "Wir haben in den 25 Jahren unserer Arbeit niemals solche hohen Bleiwerte gesehen," sagte Mediziner Marc Edwards.
Seit Anfang 2014 registrierten die Gesundheits-Behörden insgesamt 87 Fälle der Legionärskrankheit in Flint. Zehn Menschen sind bisher an dieser seltenen Form der bakteriellen Lungenentzündung gestorben. Wasser-ExpertInnen von Virginia Tech, die bereits im Oktober 2015 vor dem hohen Blei-Gehalt im Trinkwasser gewarnt hatten, vermuten, daß die Verschmutzung für die Todesfälle ursächlich ist.
Dr. Mona Hanna-Attisha von der lokalen Kinderklinik war über diese Resultate nicht erstaunt. Sie hatte über lange Zeit immer wieder Ein- bis Sechsjährige aus Flint behandelt, die unter Hautausschlag und Haarausfall litten. Bei Blut-Untersuchung ihrer kleinen PatientInnen fand sich ein dreifach erhöhter Wert an Blei. "Diese Kinder werden ihr Leben lang unter dieser Vergiftung leiden," klagt Hanna-Attisha. Das Schwermetall beeinflußt die Entwicklung der Kinder negativ - beeinträchtigt ihre Intelligenz und ihr Verhalten. "Blei ist das Schlimmste, was man der Bevölkerung antun kann," so die Ärztin. Wie viele Minderjährige betroffen sind, ist unklar. In Flint leben nahezu 9000 Kinder im Alter unter sechs Jahren.
Mittlerweile ist die Bevölkerung von Flint auf die Straße gegangen und hat den Rücktritt von Gouverneur Snyder gefordert. Der Chef der örtlichen Wasserwerke wurde bereits entlassen. EinwohnerInnen haben eine Sammelklage gegen die Verantwortlichen eingereicht.
Seit Wochen verteilt die Nationalgarde nun Flaschen und Kanister mit sauberem Wasser an die Bevölkerung. US-Präsident Barack Obama hat am 16. Januar (Samstag) den Notstand ausgerufen und versprach fünf Millionen US-Dollar Direkthilfe. Die Katastrophenschutzbehörde FEMA soll helfen, die Umwelt-Katastrophe in den Griff zu bekommen.
Anmerkungen
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