Hauptkühlsystem verstopft
Einer der vier Reaktorblöcke des AKW Cruas mußte in der vergangenen Nacht wegen eines "Problems" im Hauptkühlsystem per Notabschaltung heruntergefahren werden. Der "Störfall" in dem Atomkraftwerk in der Nähe der südostfranzösischen Stadt Montélimar wird nach Angaben der Atomaufsichtsbehörde ASN als der Schwerste der vergangenen vier Jahre eingestuft.
Der französische Energie-Konzern EdF löste angeblich einen "Notfallplan" aus, nachdem der Zufluß des Kühlsystems durch Treibgut der Rhône verstopft war. Der Fluß dient dazu, Abfall-Wärme aufzunehmen. Rund zwei Drittel der Wärme, die im Reaktorkern erzeugt wird, kann nicht in Elektrizität umgewandelt werden.
Nach Auskunft der EdF habe in der vergangenen Nacht weder eine Gefahr für die Bevölkerung noch für die Umwelt bestanden. Der Reaktorkern sei von dem Ausfall nicht betroffen gewesen, sagte der stellvertretende ASN-Chef, Olivier Gupta. Er sei "mit anderen Mitteln" gekühlt worden. Mehr als diese ominöse Auskunft war bislang nicht zu erhalten. Weiter hieß es, die Behörde sei um kurz vor Mitternacht von dem "Störfall" unterrichtet worden und habe umgehend zwei Experten ins AKW Cruas entsandt.
Bereits heute (Mittwoch) morgen teilte die EdF mit, das Kühlsystem funktioniere wieder. Als Betreiber von 19 Atomkraftwerken mit insgesamt 58 Reaktoren sei das Unternehmen "auf derartige Ereignisse vorbereitet", erklärte die ASN. Der nächtliche "Störfall" habe gezeigt, daß das vorgeschriebene Vorgehen in einem solchen Fall "gut funktioniert". Die ASN stufte den Zwischenfall auf Stufe Zwei der internationalen Meldeskala INES ein, also in der dritten der von Null bis Sieben reichenden Kategorien. Entsprechend der damit verknüpften Nomenklatur soll es sich also in der vergangenen Nacht nicht nur um ein meldepflichtiges "Ereignis" oder eine "Störung", sondern um einen "Störfall" gehandelt haben. Aus den INES-Vorgaben ist zu schließen, daß sich zumindest ein "begrenzter Ausfall der gestaffelten Sicherheitsvorkehrungen" ereignet hat. Bei einem vollständigen Ausfall der Kühlung des Reaktorkerns kann es zu einer Kernschmelze und in der Folge zu einem "Super-GAU" mit der Freisetzung von Radioaktivität kommen. Ein Reaktor mittlerer Größe enthält ein radioaktives Inventar, das in einem solchen Fall ausreicht, um eine Fläche von der Größe der Schweiz für Jahrzehnte unbewohnbar zu machen.
Am 15. Oktober war bekannt geworden, daß bereits im Juni bei Arbeiten in der französischen Atomanlage Cadarache überraschend 39 Kilogramm Plutonium gefunden worden waren, die nirgendwo verzeichnet waren. Auch dieses Ereignis war auf der INES-Skala in der Kategorie Zwei eingestuft worden. Für Schlagzeilen hatten vergangenes Jahr mehrere Vorfälle im flußabwärts gelegenen AKW Tricastin gesorgt. Erst liefen Anfang Juli 2008 dreißig Kubikmeter uranhaltige Flüssigkeit aus und gelangten in die Umwelt. Elf Tage darauf wurde über die Brennelemente-Fabrik in Romans-sur-Isère im Südosten Frankreichs gemeldet, daß dort ein undichtes unterirdisches Rohr entdeckt wurde, aus dem ebenfalls Uran austrat. Kurz darauf verkeilten sich beim Austausch von Brennelementen im AKW Tricastin zwei der uranhaltigen Stäbe. Mitte Juli wurden 15 Angestellte im AKW Saint-Alban radioaktiv kontaminiert und Ende Juli 2008 kam es erneut zu einer "Panne" im AKW Tricastin, bei der 100 Angestellte radioaktiv kontaminiert wurden.
Anfang November waren in Frankreich 18 der 58 Reaktoren wegen Pannen oder Wartungs-Arbeiten abgeschaltet. Das Land werde im Winter "massiv" Strom importieren müssen, meldet die französische Tageszeitung 'Le Monde'. Dies ist eine realistische Prognose, da in Frankreich parallel zum Aufbau des AKW-"Parks" ab Mitte der 1970er-Jahre massiv der Einbau von energetisch unsinnigen Elektro-Heizungen in Eigenheimen gefördert wurde. Trotz nachgewiesener Sicherheitsmängel der französischen Atomkraftwerke - insbesondere der ältesten wie dem AKW Fessenheim und dem AKW Tricastin - drängt der französische Energie-Konzern EdF auf längere Laufzeiten.
REGENBOGEN NACHRICHTEN
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