Die Ämter zur Verwaltung der Arbeitslosigkeit haben im ersten Halbjahr 2012 die Hartz-IV-Betroffenen deutlich häufiger abgestraft. In der Regel wird hierbei die Zahlung des Arbeitslosengeldes II (ALG II) um 30 Prozent gekürzt und dabei massiv unter das Existenzminimum abgesenkt.
Hunderttausende Hartz-IV-Betroffene waren in den ersten sechs Monaten dieses Jahres von Sanktionen betroffen. Die Gesamtzahl beläuft sich laut offizieller Statistik auf 520.792 Sanktionen und wurde damit von der Arbeitslosigkeitsverwaltung im Vergleich zum vergangenen Jahr weiter gesteigert. Zugleich hieß es noch im April von einem Sprecher der Bundesanstalt für Arbeit(slosigkeit): "Die reinen Mißbrauchsfälle und Betrugsfälle steigen nicht an. Wir haben überwiegend Meldeversäumnisse." Die Sanktionen belaufen sich durchschnittlich auf eine Kürzung um monatlich 116 Euro. Auf die Verhältnisse von VW-Chef Martin Winterkorn umgerechnet entspräche dies einer Kürzung seines Jahres-Salärs um rund 5 Millionen Euro.
Von den insgesamt 520.792 Sanktionen wurden 352.233 wegen Meldeversäumnissen verhängt. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn Betroffene - offiziell als "Kunden" bezeichnet - trotz Einladung nicht beim Jobcenter erscheinen. Verstöße gegen die Eingliederungsvereinbarung wurden 74.432 mal geahndet und die Verweigerung einer Arbeitsaufnahme führte in 56.489 Fällen zu einer Sanktion.
Laut einer im Sommer veröffentlichten Studie treffen Sanktionen vor allem männliche Hartz-IV-Betroffene. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) hatte festgestellt, daß Jobcenter bei Verstößen gegen die Hartz-IV-Bestimmungen Frauen weitaus seltener das Arbeitslosengeld II kürzen als Männern. Männliche Bezieher würden fast doppelt so häufig sanktioniert wie Frauen, hieß es in der Studie.
Bekannt ist ebenfalls, daß rund 36 Prozent der Hartz-IV-Bescheide - falls die Betroffenen Widerspruch eingelegen - korrigiert werden müssen. Das Erwerbslosen-Forum Deutschland wies darauf hin, daß auch "die meisten Sanktionen zurückgenommen werden müssen, wenn die Betroffenen rechtliche Hilfe gegenüber den Jobcentern in Anspruch nehmen."
Nach Angaben des Caritas-Verbandes gehen dem Staat durch Sozialmißbrauch jährlich 120 Millionen Euro verloren. Zugleich stellte die OECD fest, daß dem deutschen Staat durch Steuerhinterziehung jährlich rund 100 Milliarden Euro fehlen - also rund 1000 mal so viel. Die OECD mahnte an, daß rund 20 Prozent mehr an Steuereinnahmen in Deutschland erzielt werden könnten, wenn die Unternehmen und vor allem die Banken einer konsequenten Prüfung unterzogen würden. Doch hieran scheinen die in den Landes- und Bundesregierungen vertretenen Partei-PolitikerInnen kein Interesse zu haben, wie sich an der auffällig geringen Zahl der SteuerfahnderInnen ablesen läßt.
Wer der Steuerhinterziehung angeklagt wird, darf jedoch in diesem Staat darauf zählen, daß vor einer Verurteilung erst ein Gericht die Anklage überprüft und alle Umstände geklärt werden. Setzen sich die Hartz-IV-Betroffene nicht zur Wehr, werden Sanktionen sofort und rücksichtslos exekutiert. "Steuerhinterzieher erfahren mehr Gerechtigkeit," eklärte dazu Martin Behrsing, Sprecher des Erwerbslosen-Forums Deutschland.
Anmerkungen
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