Dank einer wie die Katze um den heißen Brei herum- schleichenden Union, konnte Außenminister Joseph Fischer den Visa-Untersuchungsausschuß zu einer One-Man-Show vor laufenden TV-Kameras umfunktionieren.
Wenn die Union Joseph Fischer mit der Visa-Affäre hätte zu Fall bringen wollen, hätte sie ihn in den Tagen vor seinem Auftritt mit Fakten konfrontieren müssen. Doch dabei wäre sie nicht umhin gekommen, den tatsächlichen Zweck der Visa-Politik Deutschlands in Hinblick auf die nach 1990 neu entstandenen Staaten im Osten und insbesondere in Hinblick auf die Ukraine kenntlich zu machen. So verlegte sie sich darauf, Fischer vorzuwerfen - ohne dies nachweisen zu können - , er habe "sein Haus nicht im Griff" gehabt.
Es ist im Gegenteil erstaunlich, wie Fischer über mehrere Jahre hinweg eine illegale Visavergabe-Praxis gegen den vehementen Widerstand des diplomatischen Corps und der Botschaften hatte durchsetzen können. Die Schwierigkeit bestand darin, daß über einen kleinen Kreis hinaus auch im Auswärtigen Amt nicht bekannt werden durfte, was der Zweck der "freizügigen" Visa-Praxis war. Ähnlich wie schon Kanzler Kohl und sein Außenminister Genscher vor 1990 eine "Abstimmung mit den Füßen" inszeniert hatten und - damals über den Umweg Ungarn - den Ostdeutschen den "westlichen Lebensstil" schmackhaft machten, zielte Fischers Visa-Praxis auf eine Westorientierung der östlichen Nachbarn und insbesondere auf die "orangene Revolution" in Kiew. Daß damit - ebenso wie bei der Annexion der DDR - lediglich das Führungspersonal ausgetauscht und die Hoffnung der überwiegenden Mehrheit auf Wohlstand und Demokratie bitter enttäuscht wurde, haben viele bis heute nicht realisiert. In der Ukraine ist heute eine kleine Clique an der Regierung, die überwiegend der selben Oligarchie verpflichtet ist wie die russisch orientierte Regierung, die sie aus dem Amt jagte. Lediglich die wirtschaftliche Orientierung der Ukraine wurde von Ost auf West umgepolt.1
Fischer konnte "sein Haus" und die deutsche Medienöffentlichkeit nur täuschen, weil er die Visa-Praxis mit einer Multi-Kulti-Attitüde verbrämte, die Fischer schon vor 1998 lediglich instrumentell einsetzte und jederzeit opportunistisch abzustreifen verstand, wenn ihm dies Vorteile versprach. Es ist ein politischer Hintertreppenwitz, daß nicht nur sein "grüner" Fanclub, sondern auch gestandene Konsevative die Mulit-Kulti-Attitüde Fischers für bare Münze nahmen. Dies ist vielleicht nur vor dem Hintergrund erklärlich, daß beide Seiten allzu gerne die Augen vor Tausenden Toter verschließen, die im Mittelmeer ertrinken und auf die ein Herr Fischer von den Zinnen der mit seiner Hilfe errichteten Festung Europa herunterspuckt.
Da Fischer nun in den letzten Wochen sehen konnte, daß die Union nur mit Bißhemmung in der Visa-Affäre agierte, und sich zugleich sicher sein kann, daß Kanzler Schröder noch auf ihn angewiesen ist, konnte er das Verhör vor dem Visa-Untersuchungsausschuß locker angehen. Wie schon so oft, vermochte er es, zuvor noch recht eindeutige Begriffe in leere Phrasen zu verwandeln. Wenn bislang PolitikerInnen genötigt werden konnten, die "Verantwortung" zu übernehmen, hieß dies: Rücktritt. Fischer erklärt seit Wochen frech, er übernähme die "Verantwortung" und sowohl bei der Union als auch bei den Mainstream-Medien hielten sie Maulaffen feil. Gestern feixte Fischer: "Schreiben Sie rein, der Fischer ist schuld" - wohl wissend, daß dies für ihn ohne Konsequenzen ist. Und als Fischer nun gefragt wurde, welche konkreten Folgen dieses Schuldeingeständnis nach sich ziehe, antwortete er: "Verantwortung zu übernehmen heißt, die Dinge besser zu machen." Darauf wußten die Unions-VertreterInnen keine Antwort, denn als letztes Mittel bliebe ihnen nur der - zur Zeit chancenlose - Antrag im Bundestag auf Entlassung des Außenministers.
So wurde einmal mehr die alte Volksweisheit bestätigt, wonach eine Krähe der anderen kein Auge aushackt. Möglicherweise wurden Materialien gegen Fischer auf dem Markt angeboten, für die die Union nicht bereit war, den nötigen Preis zu bezahlen. Dabei dürfte weniger der Preis ins Gewicht fallen, den die Anbieter fordern. Offenbar war die Union nicht bereit den Preis zu zahlen, der darin bestanden hätte, es sich mit den Mächtigen der Wirtschaft zu verderben.
Adriana Ascoli
Anmerkungen
1 Siehe unseren Artikel
'Ukraine -
Alles dieselbe Bagage (1.01.05)
Siehe auch unsere bisherigen Artikel zur Visa-Affäre
'Visa-Affäre: Lügen um Huntziger-Spende'
Oswald Metzger haut... (10.04.05)
'Fischer am 25. April vor Visa-Ausschuß'
One-Man-Show oder Demontage? (31.03.05)
'Visa-Akten vernichtet?'
"Rot-Grün" dementiert (26.03.05)
'Visa-Affäre: Die Schlinge um Schröder zieht sich zu'
Schröder war von Anfang an informiert (23.03.05)
'Visa-Affäre: Anklage gegen Joseph Fischer?'
Kölner Oberstaatsanwalt stößt Berliner KollegInnen an (22.03.05)
'Visa-Affäre: Müntefering contra Fischer'
Die Luft wird dünner (20.03.05)
'Visa-Affäre: Schwere Vorwürfe aus Köln'
Otto Schily belastet (17.03.05)
'Botschaften protestierten gegen Visa-Praxis'
Rund ein Dutzend Botschaften... bereits im März 2000 (14.03.05)
'Visa-Affäre: Argumentation "mit der Brechstange"'
Erler tritt Roth vors Schienbein (13.03.05)
'Visa-Affäre: Schweige-Deal zwischen Fischer und Schily' (8.03.05)
'Visa-Affäre: Maulkorb für kritische Botschafter' (5.03.05)
'Toter in Visa-Affäre?'
Staatsanwalt in vorauseilendem Gehorsam: "Kein Zusammenhang"
(3.03.05)
'Fischers Büttenrede in Köln'
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'Warum die orthodoxe Linke zur Visa-Affäre schweigt'
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(25.02.05)
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(25.02.05)
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'Sensation im Visa-Ausschuß'
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