6.04.2008

Klimaforscher James Hansen:
Erde an kritischem Punkt

KlimaforscherInnen um den Chef des Goddard Institutes for Spaces Studies, James Hansen, warnen in einer aktuell veröffentlichten Studie davor, daß die Erde bereits gefährlich nahe an einem kritischen Punkt angelangt sei, an dem die Klimakatastrophe in ein sich selbst verstärkendes und unaufhaltsames Stadium treten wird. Aufgrund von Daten der Klimageschichte des Planeten sind sie zu der Ansicht gelangt, daß das Klimasystem empfindlicher als bisher gedacht ist. Der Masseverlust der arktischen und antarktischen Gletscher könne sich zu einem unumkehrbaren Prozeß auswachsen und ihr vollständiges Verschwinden sei dann nicht mehr aufzuhalten. Ein weiteres Jahrzehnt ohne nennenswerten Klimaschutz reiche demnach aus, um an den Polen einen irreversiblen Prozeß in Gang zu setzen.

James Hansen ist seit Jahrzehnten so etwas wie eine Institution in der internationalen Wissenschaftsgemeinde. Einen Namen machte er sich unter anderem mit der akribische Analyse Tausender Temperatur-Datensätze, die von Wetterstationen aus aller Welt vorliegen. Sie bilden in der von Hansen und KollegInnen bearbeiteten Fassung, die zum Beispiel die Effekte städtischer Wärmeinseln eliminiert, die Grundlage für die von der NASA berechneten Zeitreihe der globalen Mitteltemperatur. Neben einer ähnlichen Arbeit des britischen Hadley Centers ist dies eine der wichtigsten Referenzen für die Diskussion über den globalen Klimawandel. Zugleich ist Hansen einer der bestgehaßten Wissenschaftler, der sich dem Einfluß der Öl-, Automobil- und Kohle-Konzerne zu entziehen wußte. Auch gegenüber der US-Regierung zeigte er sich immun, deren zensierende Einmischungen in die Klimawissenschaft er kürzlich in einem Radiointerview anprangerte.

Die nun veröffentlichte Studie untersucht die vielfachen Wechselwirkungen im Klimasystem, die den Treibhauseffekt verstärken könnten. Die WissenschaftlerInnen um Hansen kommen darin zu dem Schluß, daß die Reduktion der Kohlendioxid-Emissionen wesentlich drastischer als bisher angenommen ausfallen muß. Nur so sei es noch möglich, gefährliche Klimaveränderungen zu verhindern.

Als gefährliche Veränderungen werden in der Studie die Auflösungstendenzen der großen Eisschilde auf Grönland sowie der beiden Komplexe in der West- und Ostantarktis betrachtet. Allein um sieben Meter würde das Grönlandeis den Meeresspiegel ansteigen lassen, sechs Meter wären es, wenn sich das westantarktische Eisschild auflöst, und gar mehrere Dutzend Meter, sollten sich die riesige Eismassen der Ostantarktis verabschieden. Letzteres ist allerdings unter den drei aufgezählten Eisschilden das stabilste.

Von vielen WissenschaftlerInnen war in den vergangenen Jahren zu hören, daß das vollständige Abschmelzen der drei großen Eisschilde so lange verhindert werden könne, wie die globale Temperatur nicht um mehr als 2 Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau (etwa 1,3 Grad Celsius gegenüber dem aktuellen Level) steigt. Dafür müsse die atmosphärische Konzentration der Treibhausgase auf 450 Millionstel Volumenanteile (ppm, parts per million) Kohlendioxid-Äquivalente beschränkt werden.

Der gegenwärtige Wert liegt bei etwas über 370 ppm. Allerdings ist bereits jetzt in Grönland und in der Westantarktis zu beobachten, daß sich seit einigen Jahren der Masseverlust der beiden dortigen Eisschilde beschleunigt. Die Gletscher befinden sich nicht mehr im Gleichgewicht und es gibt keine gesicherten Kenntnisse darüber, wo ein neuer Gleichgewichtszustand bei den heutigen veränderten Rahmenbedingungen liegen könnte.

Nun kommt die Hansen-Studie aber zu dem Ergebnis, daß beim derzeitigen Stand der Treibhausgase noch 1,4 Grad Celsius Erwärmung "in der Pipeline" sind. Das heißt, daß selbst wenn die Kohlendioxid-Konzentration beim derzeitigen Stand gehalten werden könnte, würde es noch um diesen Betrag wärmer. Bisher wurde aufgrund der Trägheit der Ozeane, die viele Jahrzehnte benötigen, um sich an die veränderten Bedingungen anzupassen, davon ausgegangen, daß im Falle der Stabilisierung auf aktuellem Niveau 0,6 Grad Celsius zusätzlicher Erwärmung zu erwarten wären.

Hansen und KollegInnen kommen daher zu dem Schluß, daß das 450-ppm-Limit bereits viel zu hoch liegt. 350 ppm müßten langfristig angestrebt werden, um ein vollständiges Abschmelzen der Gletscher zu verhindern. Angesichts des derzeitigen Anstiegs der weltweiten Emissionen könne schon ein weiteres Jahrzehnt ohne nennenswerten Klimaschutz ausreichen, um an den Polen einen - in menschlichen Zeiträumen - irreversiblen Prozeß in Gang zu setzen, an dessen Ende die Eisschilde Grönlands und der Westantarktis und vielleicht sogar der Ostantarktis verschwunden wären. Die WissenschaftlerInnen fordern daher - für ihre Zunft recht unverblümt - einen Stop der Verbrennung von Kohle.

 

REGENBOGEN NACHRICHTEN

 

Anmerkungen

Siehe auch unsere Artikel:

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