In neun Jahren Krieg hat sich die Lage für die Menschen in Afghanistan nach und nach weiter verschlechtert. VertreterInnen der afghanischen demokratischen Opposition sprachen sich auf der 'Internationalen Afghanistan Konferenz' der Linkspartei in Berlin für einen Truppenabzug, Selbstbestimmung und Unterstützung eines demokratischen Aufbaus aus.
Mit einem eindringlichen Appell, die demokratischen Kräfte in Afghanistan zu unterstützen, endete am Wochenende die 'Internationalen Afghanistan Konferenz' der Linkspartei in Berlin, an der über 400 Menschen teilnahmen. Gekommen waren VertreterInnen afghanischer zivilgesellschaftlicher Organisationen und verschiedener fortschrittlicher Parteien, kritische JournalistInnen sowie Frauen- und MenschenrechtsaktivistInnen. Von den Bundestagsabgeordneten, die kurz zuvor mit ihren Stimmen die Verlängerung des ISAF-Mandats für den Bundeswehreinsatz in Afghanistan durchgesetzt hatten, interessierte sich niemand für die Konferenz.
Noch immer werden die afghanischen Frauen - nicht zuletzt durch die Pseudo-Grünen - als Vorwand benutzt, um den Krieg in Afghanistan zu rechtfertigen. Die junge und international bekannte Frauenrechtlerin Malalai Joya hielt dem entgegen, daß sich insbesondere die Lage der Frauen in Afghanistan infolge der Militarisierung der Gesellschaft und der Verschärfung des Krieges rapide verschlechtert habe. Nach wie vor sei die Armut im Land groß und demokratische, progressive Kräfte würden durch das korrupte Karzai-Regime und die Provinzgouverneure unterdrückt.
Leider kamen die realen Gründe für den Afghanistan-Krieg auf dieser Konferenz nicht zur Sprache und Gregor Gysi, Sprecher der Linkspartei-Bundestagsfraktion, konnte einmal mehr die Legende verbreiten, keines der Ziele des Afghanistan-Kriegs sei erreicht worden. Damit lenkt er von den realen wirtschaftlichen Gründen ab und beglaubigt nachträglich die Propaganda, wonach der Krieg 2001 begonnen wurde, um den Terrorismus zu bekämpfen und Afghanistan Freiheit und Demokratie zu schenken.
Sayed Yaqub Ibrahimi, ein afghanischer Journalist, dessen jüngerer Bruder mit der Todesstrafe bedroht worden war, klagte die Kriegs-Allianz der völligen Unterdrückung des Selbstbestimmungs- rechtes Afghanistans an: "Ich möchte, daß die Afghanen über ihr eigenes Schicksal entscheiden und nicht, daß über sie wie über ein Opfer entschieden wird." Er räumte zugleich mit dem in westlichen Mainstream-Medien verbreiteten Bild auf, in Afghanistan gebe es mittlerweile so etwas wie eine freie Presse: "Die Menschen, die offen über Afghanistan berichten, werden so unter Druck gesetzt, daß sie das Land verlassen. Oder sie zensieren sich selbst, damit sie ihr Leben fortsetzen können." Sayed Yaqub Ibrahimi verurteilte die Verlängerung des ISAF-Mandats durch den Deutschen Bundestag, dem sich allein die Fraktion der Linkspartei geschlossen widersetzt hatte. Bekannt sei allerdings in Afghanistan auch, daß die Entscheidung des Bundestages gegen den mehrheitlichen Willen der Deutschen gerichtet ist, die den Bundeswehreinsatz zu über 70 Prozent ablehnen.
Ungebrochen von den Anfeindungen, die ihr nicht zuletzt in Deutschland entgegen schlugen, sprach sich Malalai Joya klar für ein Ende der Besatzung Afghanistans aus. "Unser Volk hat dreierlei Feinde," sagte die Politikerin und Frauenrechtlerin, die 2007 wegen ihrer offenen Kritik an der Regierungsbeteiligung krimineller Warlords als gewählte Abgeordnete vom afghanischen Parlament ausgeschlossen worden war. Neben den ausländischen Besatzungstruppen seien radikalislamischen Taliban und Warlords die Feinde des Volkes. Sie rief die hiesigen Medien dazu auf, über die wachsende Anzahl von kritischen Organisationen, Bewegungen und Intellektuellen in Afghanistan zu berichten und diese nicht länger totzuschweigen.
Auch der Anwalt Karim Popal, der durch die Vertretung der Kundus-Opfer-Familien bekannt wurde, bekundete: "99 Prozent der Menschen in Afghanistan wollen den Abzug der NATO, damit wir atmen können." Sher Mohammad Basergar, Vertreter der Bewegung für umfassende Demokratie und Entwicklung, forderte eine unabhängige Regierung und die Einheit aller fortschrittlichen Kräfte, die für den Frieden arbeiten: "Alle diese Charaktere müssen sich zusammentun und auf ein gemeinsames breites Programm einlassen." Diese demokratischen Kräfte, so Basergar, würden momentan die Unterstützung aus dem Ausland vermissen. Karim Popal hingegen appelliert an seine Landsleute. "Wir brauchen weniger die Unterstützung aus dem Ausland für die linken und demokratischen Kräfte, sondern vielmehr die Unterstützung der Afghanen selbst und den Dialog der Bevölkerung!" Said Pahiz, Vertreter der neu gegründeten Solidaritätspartei mit mehr als 30.000 Mitgliedern in ganz Afghanistan, kündigte weitere Demonstrationen gegen die Präsenz der NATO-Truppen an.
Die KonferenzteilnehmerInnen solidarisierten sich mit der Demokratiebewegung in Ägypten und Tunesien und forderten eine aktive Unterstützung der demokratischen Kräfte in Afghanistan. Im Rahmen der Konferenz fand auch ein Vernetzungstreffen mit Exil-AfghanInnen in Deutschland statt. Dabei wurden kritisch und kontrovers der Abzug der internationalen Truppen und mögliche Verhandlungen mit den Taliban diskutiert. Umstritten war auch, ob die Warlords und Provinzgouverneure in Friedensverhandlungen einbezogen werden sollen. Popal etwa will die Warlords zum Dialog zwingen, Joya beurteilt die Warlords als "Kopie der Taliban" - beide hätten Blut an den Händen - und deshalb eigneten sie sich nicht für Gespräche. Basergar räumte ein, daß es ein Vakuum geben werde, wenn die internationalen Truppen das Land verlassen. Die große Mehrheit der afghanischen TeilnehmerInnen forderte den Abzug der Truppen.
VertreterInnen von Friedensgruppen in Deutschland kündigten für Herbst dieses Jahres - zum zehnten Jahrestag des Beginns der NATO-Militärintervention in Afghanistan - ein Afghanistan-Tribunal an und eine Gegenkonferenz zur geplanten Petersberger Konferenz in Bonn.
Anmerkungen
Siehe unsere Artikel:
Wikileaks deckt Hintergründe
des Afghanistan-Kriegs auf (28.07.10)
Afghanistan-Krieg:
Der deutsche Bundespräsident sagt die Wahrheit...
und bezieht Prügel von Schwarz-Rot-Grün-Gelb (27.05.10)
Afghanistan - 18 Tote
bei Selbstmord-Anschlag in Kabul (18.05.10)
Kundus-Massaker
Skandal
Bundesanwaltschaft kneift (19.04.10)
Kundus-Massaker
Organisation 85 versucht zu vernebeln (19.03.10)
Bundestags-Entscheidung zum Afghanistan-Krieg
Mehrheit erhöht Militär-Einsatz
Linksfraktion setzt Zeichen (27.02.10)
Kundus-Massaker
Im Bundeskanzleramt geplant? (24.02.10)
Kundus-Massaker: Die Lügen des Oberst Klein
Wie lange kann sich zu Guttenberg noch halten? (17.01.10)
Kundus-Massaker: Weiteres Material sickert durch
Oberst Klein wollte 4 Taliban-Anführer "vernichten" (13.12.09)
Kundus-Massaker: Killertruppe KSK beteiligt
Guttenberg trägt nichts zur Aufklärung bei (10.12.09)
Kundus-Massaker: US-Bomberpiloten fragten 5 mal
wegen Tiefflügen / Oberst Klein behauptete "Feindberührung"
(6.12.09)
Kundus-Massaker: Jung zurückgetreten
- Aufklärung gestoppt? (28.11.09)
Wird das Bundeswehr-Massaker von Kundus jetzt aufgeklärt?
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