Erneut wurden Flüchtlings-Unterkünfte in Brand gesteckt. Im baden-württembergischen Wertheim fiel eine für 400 Flüchtlinge vorgesehene Notunterkunft den Flammen zum Opfer - ebenso im mecklenburgischen Breesen bei Laage.
Bei der Vielzahl der Anschläge der vergangenen Monate auf Flüchtlings-Unterkünfte kann nicht mehr geleugnet werden, daß es sich - auch wenn dies in Einzelfällen andere Ursachen hatte - in den weitaus meisten Fällen um gezielte Brandanschläge von Rechts-ExtremistInnen handelte. Laut Auskunft von Polizei und Stadtverwaltung Wertheim (Main-Tauber-Kreis) steckten Unbekannte in der Nacht von Samstag auf Sonntag eine für 400 Flüchtlinge vorgesehene Turnhalle in Brand. An der Rückseite der Halle fand die Polizei Spuren, die auf einen Einbruch hindeuten.
In Breesen bei Laage (Kreis Rostock) in Mecklenburg-Vorpommern brannte ebenfalls heute (Sonntag) eine für Flüchtlinge vorgesehene Notunterkunft. Ob das derzeit unbewohnte Mehrfamilienhaus an einer Bundesstraße bei Laage weiterhin als Flüchtlingsunterkunft genutzt werden kann, ist derzeit laut Polizei-Auskunft noch unklar. Das Feuer war im Dachstock auf einer rund zwei mal zwei Meter großen Fläche ausgebrochen.
Im schwäbischen Wertheim (22.400 EinwohnerInnen) sind derzeit 600 Flüchtlinge in einer anderen Unterkunft untergebracht. Oberbürgermeister Stefan Mikulicz hatte vor der Belegung einer zweiten Unterkunft gewarnt, weil die Helfer am Ende ihrer Kräfte seien. Und erst am gestrigen Samstag hatte er nachgelegt: "Ich rate dringend davon ab, die Halle zu belegen, da wir von der Stadt nicht für die Sicherheit garantieren können." Möglicher Weise motivierte er mit dieser Aussage Rechts-ExtremistInnen. Der Brandanschlag hat offenbar die beabsichtigte Wirkung.. "Es kommen keine weiteren Flüchtlinge nach Wertheim, da es die Notunterkunft nicht mehr gibt," erklärte nun Hermann Schröder, zuständiger Stabstellen-Chef der "grün-roten" Landesregierung. Der pseudo-grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann fährt eine harte Linie gegen Flüchtlinge - angeblich um damit "der Krise Herr zu werden". Die Landesregierung kommt damit immer mehr in Konflikt mit dem Landesflüchtlingsrat. Dieser versuchte bislang, Flüchtlingen, die aus dem "Ländle" abgeschoben werden sollen, zumindest die Ausschöpfung ihrer rechtlichen Mittel zu ermöglichen.
Wertheim hatte trotz der "befremdlichen" offiziellen Töne eine Willkommens-Kultur gezeigt: In den vergangenen Wochen waren Ehrenamtliche des Vereins 'Willkommen in Wertheim' aktiv und hatten sich bis zu 16 Stunden täglich um die derzeit 600 Flüchtlinge gekümmert. In Riedlingen im Kreis Biberach malten ebenfalls an diesem Wochenende Unbekannte Hakenkreuze und rechtsextreme Parolen an die Außenwände des dortigen Flüchtlingsheims. Außerdem wurden dort am Samstag Morgen Mülltonnen in Brand gesteckt. In Eisingen (Enzkreis) scheiterte eine BürgerInnen-Initiative, die die Nutzung einer alten Turnhalle als Flüchtlings-Unterkunft verhindern wollte. Mit 1248 von 2011 abgegebenen Stimmen sprach sich eine Mehrheit für die vorgesehene Unterbringung der Flüchtlinge aus.
In Baden-Württemberg haben sich laut Angaben der Polizei in diesem Jahr bereits 26 politisch motivierte Straftaten gegen Flüchtlingsunterkünfte ereignet. Diese werden allerdings meist nicht überregional bekannt, da lediglich örtliche Medien berichteten - darunter achtmal Sachbeschädigung, acht Schmierereien, zweimal Volksverhetzung, zweimal Beleidigung, einmal gefährliche Körperverletzung, eine Aufforderung zu Straftaten, eine Androhung von Straftaten sowie zwei Brandstiftungen an geplanten Asylunterkünften im Juli in Remchingen, im August in Weissach im Tal und am 7. September brannte eine Flüchtlings-Unterkunft in Rottenburg am Neckar. Bei dem Brand wurden 6 Menschen verletzt; weitere 78 konnten aus dem Haus gerettet werden. In 23 der 26 Fälle haben die BeamtInnen eine rechtsextreme Tat-Motivation nachgewiesen.
Im mecklenburg-vorpommerischen Laage ermittelt nun angeblich der "Staatsschutz" der Kriminalpolizei-Inspektion Rostock wegen des Brandanschlags. Ende August hatte der Landkreis Rostock in einer Bürgerversammlung über den geplanten Umbau des Mehrfamilienhauses zur Flüchtlings-Unterkunft informiert. Ende August war bei einer EinwohnerInnen-Versammlung in Laage ein Netzwerk für die Stadt und den Amtsbereich ins Leben gerufen worden, um Asylsuchende zu unterstützen.
Im sächsischen Bischofswerda hatten in dieser Woche an zwei Abenden Rechts-ExtremistInnen vor der Flüchtlings-Unterkunft randaliert. Ein Bus mit Asyl-BewerberInnen konnte nur unter Polizeischutz die Halle erreichen. Am gestrigen Samstag bildete die Polizei dort einen "Kontrollbereich" mit einem Radius von rund 100 Metern, in dem sie Personen - auch ohne erkennbaren Anlaß - überprüfte, Platzverweise aussprach und Aufenthaltsverbote erteilte. Das baden-württembergische, vom "roten" Minister Reinhold Gall geführte Innenministerium hatte noch Anfang September erklärt, daß die Einrichtung von Bannmeilen um Flüchtlings-Unterkünfte "aus rechtlichen Gründen" nicht machbar seien.
Am 21. und 26. September soll in Leipzig gegen einen Aufmarsch von Rechts-ExtremistInnen protestiert werden. Die Gegendemonstrationen sollen signalisieren, "furchtlos für Demokratie und Vielfalt des Lebens einzutreten", heißt es in einem Aufruf. der unter anderem vom ehemaligen Pfarrer der-Thomaskirche, Christian Wolff, und dem Sänger der 'Prinzen', Sebastian Krumbiegel, unterzeichnet wurde.
Der tendenziöse Begriff "Flüchtlingsstrom" wird unterdessen auch von - zumindest nach der geäußerten Intention zu urteilen - wohlmeinenden "Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens" verwendet. Ausgeblendet wird hierbei, daß in Deutschland der Anteil von AsylbewerberInnen und geduldeten Flüchtlingen lediglich 2 Promille der Bevölkerung beträgt, während Millionen von Flüchtlingen in Behelfslagern in Afrika und dem Nahen Osten ausharren. Über 80 Prozent aller Flüchtlinge weltweit leben in den sogenannten Entwicklungsländern und somit in der unmittelbaren Nähe ihrer Herkunftsregion - meist unter katastrophalen Bedingungen. Nur den Wenigsten gelingt eine Flucht nach Europa. Hinzu kommt, daß seit der Abschaffung des Grundrechts auf Asyl im Jahr 1993 (mit Hilfe der "S"PD) und der Einführung des Tricks mit den "sicheren Drittstaaten" innerhalb Europas die Hauptlast den schwächsten EU-Staaten aufgebürdet wurde. Und immer noch wird meist ausgeblendet, daß die USA und Europa mit Kriegen, Waffen-Exporten und jahrzehntelanger Ausbeutung der sogenannten Entwicklungsländer die Hauptverursacher für die katastrophalen Zustände in jenen Ländern sind (Siehe hierzu etwa unseren Artikel v. 21.10.05).
Anmerkungen
Siehe auch unsere Artikel:
"Kriegs-und Ausbeutungspolitik"
Offener Brief von Jürgen Todenhöfer (26.08.15)
Antirassistische Plakat-Aktion
in Freital (25.07.15)
Europa mordet
Heute: 700 im Mittelmeer
und Zehntausende in Afrika (19.04.15)
Europa mordet
Verhungern in Afrika
Ertrinken im Mittelmeer (15.04.15)
Fakten gegen Vorurteile
Mediendienst Integration regt zu Diskussion an (5.01.15)
Aktion gegen Festung Europa
Mit dem Bolzenschneider zur EU-Mauer (3.11.14)
NRW: Mißhandlungen von Asylsuchenden
Polizeigewerkschaft beklagt Staatsversagen (29.09.14)
Festung Europa
Massenmord im Mittelmeer (15.09.14)
Festung Europa
Flüchtlinge aus Niger in Sahara verdurstet (31.10.13)
Mord an Flüchtlingen
Barroso auf Lampedusa ausgebuht (9.10.13)
Festung Europa
Über 60 Flüchtlinge ermordet (3.10.13)
Festung Europa
Tödliche Mauer am Bosporus (11.12.12)
Hunger und Kapitalismus
"Der Süden finanziert den Norden" (17.10.12)
Festung Europa
Die NATO und der Tod von 63 Bootsflüchtlingen (5.04.12)
Statistik widerlegt Sarrazin-Thesen
Lohnt die Auseinandersetzung? (12.01.11)
Festung Europa
Bollwerk am Bosporus geplant (1.01.11)
Festung Europa
Grenzregime am Bosporus verstärkt (2.11.10)
Festung Europa
Libyen als EU-Grenzposten (29.06.09)
Berlusconi: Besser in Afrika verhungern
als in Italien interniert (20.05.09)
Verfahren gegen Lebensretter in Italien
Stefan Schmidt und Elias Bierdel von 'Cap Anamur' vor Gericht
(17.05.09)
Italien schiebt afrikanische MigrantInnen ab
Proteste zum Teil scheinheilig (9.05.09)
Festung Europa: Mehr als 300 Flüchtlinge
im Mittelmeer ertrunken (31.03.09)
Ausbeutung durch die Industrie-Nationen
Eine Nahaufnahme aus Burkina Faso (11.03.09)
Weitere Proteste auf Lampedusa
Italiens Asylpolitik unverändert unmenschlich (18.02.09)
Weiter Demonstrationen auf Lampedusa
gegen europäische Abschottungs-Politik (28.01.09)
Protest gegen Festung Europa
MigrantInnen auf Lampedusa demonstrieren
gegen Lager-Bedingungen (24.01.09)
Positive Wende in Australien:
Ende der menschenverachtenden Asylpolitik (28.07.08)
Festung Europa
Menschenverachtende Politik gegen Flüchtlinge (20.06.08)
Flüchtlingselend und Artenschwund in Nordafrika
Führt Tierschutz zu mehr Menschenschutz? (22.01.08)
Frontex und die toten Flüchtlinge
Immer mehr Leichen im Mittelmeer (25.12.07)
Europa, schäme dich!
Flüchtlingselend im Mittelmeer (28.05.07)
"Konzerne eignen sich die Welt an"
Interview mit Jean Ziegler (5.01.06)
Eine mörderische Weltordnung
Ceuta und Melilla (21.10.05)
ai: "deutsche Asylpolitik verantwortungslos"
(25.05.05)
Festung Europa fordert Tote
Mehr Leichen als Krabben in den Netzen (26.03.05)
Tag des Flüchtlings 2004:
Europa macht dicht! (30.09.04)
Menschenverachtender Umgang
mit Flüchtlingen beim FdAaF-Bundesamt (3.06.04)
Zuwanderungsgesetz
oder Abschottungsgesetz? (27.05.04)
Nach wie vor werden in Deutschland
Kinderrechte mit Füßen getreten (16.01.04)
60 Tote infolge europäischer Unchristlichkeit (22.12.03)
Sind Sie darauf stolz, Herr Schily? (13.01.03)
Europa hat eine Verantwortung (11.10.00)