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Das Sozialgericht Gotha erkannte in einem gestern verkündeten Urteil, daß Kürzungen des Arbeitslosengeldes II bei Pflichtverstößen des Empfängers verfassungswidrig sind, weil sie die Menschenwürde verletzen. Auch seien Leib und Leben von Betroffenen gefährdet. Das Bundesverfassungsgericht soll darüber entscheiden.
Die 15. Kammer des Sozialgerichts Gotha urteilte in einem konkreten Fall: Einem Mann, der ein ihm vom Jobcenter Erfurt vorgelegtes Arbeitsangebot abgelehnt hatte, wurde das Arbeitslosengeld (ALG) II um 30 Prozent gekürzt - soweit der in Deutschland seit 2005 "normale" Vorgang. Nachdem der Betroffene auch eine Probetätigkeit bei einem Arbeitgeber ablehnte, wurden ihm wegen dieser "Pflichtverletzung" weitere 30 Prozent abgezogen. Vom ALG-II-Satz für Alleinstehende in Höhe von monatlich 391 Euro wurden also insgesamt 234,60 Euro abgezogen, so daß ihm noch 156,40 Euro zum Leben blieben. Auch dies ist ein in Deutschland durchaus nicht seltener und seit 2005 "normale" Vorgang. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, daß Miete (in "angemessener" Höhe) und Heizkosten in einem solchen Fall weiter vom Staat übernommen werden, während etwa Essen, Stromkosten und der gesamte weitere tägliche Bedarf - theoretisch - mit jenen verbleibenden 156,40 Euro gedeckt werden müssen. Der Betroffenen reichte Klage am zuständigen Sozialgericht Gotha ein.
Die Sozial-RichterInnen in Gotha kamen zu dem - in Deutschland überraschenden - Ergebnis, daß diese Kürzungen verfassungswidrig seien. Sie warfen die Frage auf, wie die Sanktionen, die entsprechend dem von "Rot-Grün" vor mehr als zehn Jahren geschaffenen "Recht" im "Sozial"-Gesetzbuch SGB II (§ 31) verhängt werden können, mit der im Grundgesetz garantierten Unantastbarkeit der Menschenwürde und der darin festgeschriebenen Sozialstaatlichkeit Deutschlands zu vereinbaren sind.Die RichterInnen gehen von dem in Deutschland heute offenbar für eine Mehrheit befremdlichen Grundsatz aus, daß der Staat ein menschenwürdiges Existenzminimum jederzeit garantieren muß. Sie erwogen sogar den Gedanken, daß die Hartz-IV-Sanktionen einen Verstoß gegen die Berufsfreiheit darstellen. Da liegt die Erkenntnis gar nicht mehr so fern, daß es sich um Zwangsarbeit handelt, wenn die Existenzgrundlage entzogen werden kann.
Der eigentlich Zweck der Sanktionen besteht jedoch allenfalls in zweiter Linie in der Disziplinierung oder in dem Zwang, jeden beliebigen Job übernehmen zu müssen. Zumindest KennerInnen der Materie ist bekannt, daß Sanktionen hauptsächlich dazu dienen, um den Sparvorgaben der Bundesagentur für Arbeit(-slosigkeit) nachzukommen. Mehr als die Hälfte der verhängten Sanktionen sind offensichtlich selbst auf der Grundlage des menschenrechtswidrigen SGB II illegal, was die Anzahl der gewonnen Prozesse gegen die Maßnahmen beweist. Und viele Betroffene haben mangels Kenntnis, mangels juristischer Hilfe und oft auch aus Resignation keine Chance, sich gegen Sanktionen zur Wehr zu setzen.
Die Sozial-RichterInnen in Gotha - auch dies in Deutschland seit Januar 2005 durchaus verwunderlich - stellten nun fest, daß die Hartz-IV-Sanktionen im Widerspruch zu den Artikeln 2 und 12 des Grundgesetzes stehen, weil sie die Gesundheit oder gar das Leben der Betroffenen gefährden können. Mit seiner Entscheidung beschreitet das Sozialgericht Gotha nach eigenen Angaben Neuland. Es sei das bundesweit erste Gericht, das die Frage aufwerfe, ob die Sanktions-Möglichkeiten der Jobcenter mit dem Grundgesetz vereinbar sind. Deshalb will es dies nun vom Bundesverfassungsgericht prüfen lassen. Nach früheren Entscheidungen des höchsten deutschen Gerichts (Siehe auch unsere Artikel v. 12.07.12, v. 25.04.12, v. 29.12.10 und v. 9.02.10) besteht jedoch wenig Anlaß zur Hoffnung für die Betroffenen.
Der Paritätische Wohlfahrtsverband begrüßt den aktuellen Beschluß des Sozialgerichts Gotha als "möglicherweise bahnbrechend". Der Verband fordert die Abschaffung der Sanktionen und eine arbeitsmarktpolitische Offensive zur Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit. Angesichts der Förder-Quote von mittlerweile nur noch 9 Prozent und der Vermittlungs-Quote von gerade einmal 14 Prozent - beides laut offiziellen Angaben - sind Sanktionen nach Ansicht des Hauptgeschäftsführers des Paritätischen Gesamtverbandes Ulrich Schneider nicht länger zu rechtfertigen. "Wenn die Jobcenter den Betroffenen keine echte Perspektive anbieten können, sind Sanktionen nicht nur sinnlos, sondern geradezu unredlich. Bei den Sanktionen handelt es sich keinesfalls um eine Petitesse," betont Schneider. "Hier werden Menschen tatsächlich unter die Armutsgrenze gedrückt."
Es ist allerdings daran zu erinnern, daß ein menschenwürdiges Existenzminimum in Deutschland - je nach Miet-Niveau, das hierzulande von Ort zu Ort große Unterschiede aufweist - sicherlich bei über 900 Euro im Monat anzusetzen wäre (Siehe unseren Artikel v. 22.07.13). Daraus erschließt sich, daß der Hartz-IV-Satz, der real - also unter Berücksichtigung der offiziellen Inflationsrate - seit 2005 Jahr für Jahr gekürzt wurde, von Beginn an verfassungswidrig war. Auch die Frage, ob RichterInnen vielleicht probeweise selbst versuchen sollten, einmal mehrere Monate mit 600 bis 700 Euro auszukommen, erübrigt sich. In jenen Kreisen ist durchaus bekannt, daß die Pfändungsfreigrenze im Falle einer Privatinsolvenz bei über 1000 Euro liegt.
Anmerkungen
Siehe auch unsere Artikel:
Drakonische Hartz-IV-Repression
Schwangere mit monatlich 180 Euro abgespeist (24.09.14)
Bundestag beschließt Mindestlohn
Ein winziger Fortschritt (4.07.14)
US-Wirtschaft schrumpfte um 2,9 Prozent
Tiefster Absturz seit 2008 (26.06.14)
EZB senkt Leitzins auf 0,15 Prozent
Letzte Phase eingeläutet (6.06.14)
TTIP und Transparenz
Verhandlungen im Hinterzimmer (5.06.14)
US-Wirtschaft schrumpft
Geldpolitik ohne Wirkung (30.05.14)
Globaler Auto-Absatz schrumpft
laut Studie von US-Unternehmensberatung (20.05.14)
China wertetet Yuan ab
Stützung der Exportwirtschaft (1.03.14)
EZB beläßt Leitzins auf Rekordtief
Deutsche Wirtschaft stagniert (7.02.14)
Soziale Kälte in Deutschland
Ein halber Mantel für frierende Kinder? (9.01.14)
CDU-Europapolitiker Elmar Brok
plädiert für Fingerabdrücke (4.01.14)
Sozialabbau
Hartz-IV-Sätze erneut gekürzt (30.12.13)
Preissteigerung bei Lebensmitteln
bis zu 40 Prozent (3.12.13)
Student kritisiert Hartz-IV-Sanktionen
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Die Voodoo-Wissenschaft
der "Wirtschafts-Weisen" (14.11.13)
Sankt Martin ist ein guter Mann?
Eine Symbolfigur "christlicher" Heuchelei (11.11.13)
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Unicef klagt an (25.10.13)
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"S"PD in der Klemme (18.10.13)
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21 Billionen US-Dollar unbesteuert (22.07.13)
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Enge und häufige Kontakte Merkels
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EU-Wirtschaft bricht ein
Deutsches BIP im vierten Quartal mit Minus (14.02.13)
Renten-Betrug: Fast 50 Prozent müssen
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70 Milliarden Euro für "Aufstocker"
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Hält Hollande ein Wahlversprechen? (17.12.12)
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GM würgt das Werk in Bochum langsam ab (10.12.12)
Strompreiserhöhungen
wegen der Energie-Wende?
Zur Zeit werden Lügen verbreitet (9.11.12)
Hunger und Kapitalismus
"Der Süden finanziert den Norden" (17.10.12)
Deutsches Rentensystem im internationalen Vergleich
Blamables Ergebnis (16.10.12)
Zunahme der Sanktionen bei Hartz-IV-Betroffenen
"Steuerhinterzieher erfahren mehr Gerechtigkeit" (15.10.12)
Erneute Kürzung von Hartz IV
8 Euro heißt Minus (19.09.12)
Atomminister Altmaier
und das soziale Gewissen (15.08.12)
Massenproteste in Spanien
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Bundessozialgericht zu Hartz IV:
"verfassungskonform" (12.07.12)
Panik-Aktion
EZB senkt Leitzins unter 1 Prozent (5.07.12)
IG Metall Pilot-Tarifabschluß
Eis in der Sonne (20.05.12)
Berliner Sozialgericht:
Hartz IV ist nicht menschenwürdig (25.04.12)
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Volumen: 1 Billion US-Dollar (20.04.12)
Spaniens beschleunigter Niedergang
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Verschärfung beim Sozialabbau
Mehr Sanktionen gegen Hartz-IV-Betroffene (11.04.12)
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Die realen Probleme bleiben ausgeblendet (8.03.11)
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Zeitarbeit - Gericht spricht "christlicher Gewerkschaft"
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bei der Kinderfeindlichkeit (20.09.10)
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(10.09.10)
Bundessozialgericht:
Arme Kinder sollen dumm bleiben (20.08.10)
50 Milliarden Euro
für Subventionierung des Niedriglohn-Sektors (13.08.10)
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(2.08.10)
OECD kritisiert lasche Steuerprüfung in Deutschland
Verlust von jährlich 100 Milliarden Euro (13.07.10)
Pisa 2010 und die Schere
zwischen Arm und Reich (23.06.10)
Gesundheitssystem: Weitere Milliarden
für die Pharma-Konzerne (20.06.10)
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(19.06.10)
Proteste gegen Sozialabbau
Wir sind alle GriechInnen" (13.06.10)
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Sozialabbau schwarz-gelb (7.06.10)
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DGB-Chef Sommer: Nicht Jahr eins, sondern Jahr drei der Krise
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Kein Aprilscherz:
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BA-Chef Alt plant weiteren Sozialabbau:
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Rund 14 Millionen Euro für C"-Parteien (16.02.10)
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