Die Armut in Deutschland erreicht mit 15,5 Prozent der Bevölkerung einen neuen Höchststand. Auffallend ist, daß die Entwicklung der Armuts-Quote in den vergangenen acht Jahren nahezu parallel zur Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts verlief. Der Paritätische Gesamtverband fordert eine deutliche Erhöhung der Hartz-IV-Sätze.
"Noch nie war die Armut in Deutschland so hoch und noch nie war die regionale Zerrissenheit so tief wie heute. Deutschland ist armutspolitisch eine tief zerklüftete Republik," so Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes. Nach offiziellen Zahlen stieg die Zahl der Armen in Deutschland zwischen 2012 und 2013 von 12,1 auf 12,5 Millionen Menschen - dies entspricht relativ zur Gesamtbevölkerung einem Anstieg von 15 auf 15,5 Prozent.
Nahezu parallel (und um ein Jahr versetzt) entwickelte sich die am Bruttoinlandsprodukt (BIP) gemessene Wirtschaftsleistung Deutschlands. Diese offiziellen Zahlen zeigen, daß sich die Schere zwischen Arm und Reich auch in Deutschland immer weiter öffnet. Selten wurde das neoliberale Mantra, der sogenannte Trickle-down-Effekt, wonach steigendes Wirtschaftswachstum zu mehr Wohlstand für alle führe, deutlicher widerlegt. Nach einer Schätzung des Deutschen Wirtschaftsinstituts besitzt das reichste Prozent der Deutschen ein Drittel des privaten Gesamtvermögens, die reichsten 10 Prozent haben einen Anteil von 63 bis 74 Prozent und die reichsten 0,1 Prozent der Haushalte verfügen über 14 bis 16 Prozent am gesamten Vermögen - dreimal so viel, wie die unteren 50 Prozent der Bevölkerung.
Laut den Zahlen der OECD verdienten die zehn Prozent der Deutschen mit den höchsten Einkommen 2008 etwa achtmal so viel wie die untersten zehn Prozent. In absoluten Zahlen: Die Nettobezüge der oberen zehn Prozent beliefen sich auf durchschnittlich 57.300 Euro im Jahr, die der Geringverdiener hingegen auf nur 7.400 Euro (ohne staatliche Hilfsleistungen). Anfang der 1990er-Jahre hatte das Verhältnis noch bei sechs zu eins gelegen (Siehe unseren Artikel v. 5.12.11).
In seinem aktuellen Armuts-Bericht beleuchtet der Paritätische Gesamtverband auch besondere Risikogruppen. Demnach zeigten mit 42,3 Prozent Alleinerziehende das höchste Armuts-Risiko von allen Haushalten. 19,2 Prozent aller deutschen Minderjährigen leben unterhalb der Grenze der Armuts-Quote. Bei der Gruppe der Erwerbslosen sind dies nach offiziellen Angaben 58,7 Prozent - dabei liegt der Hartz-IV-Satz real deutlich unter dem Existenz-Minimum.
Besondere Aufmerksamkeit sollte zudem nach Ansicht des Verbandes den RentnerInnen gewidmet werden: "Es gibt keine andere Gruppe in Deutschland, die in den letzten Jahren auch nur annähernd vergleichbar hohe Armuts-Zuwächse hatte. Wir haben es hier mit einem armutspolitischen Erdrutsch zu tun," warnt Schneider angesichts eines Anstiegs der Armut in dieser Gruppe um 48 Prozent seit 2006. Schon in diesem Jahr werde die Armuts-Quote der RentnerInnen erstmals über dem gesamtdeutschen Durchschnitt liegen, prognostiziert der Verband.
Auch geographisch ist die Armut in Deutschland recht unterschiedlich verteilt. Besonders betroffen sind Bremen (24,6 Prozent unter der Armuts-Schwelle), Mecklenburg-Vorpommern (23,6 Prozent) und Berlin (21,4 Prozent). Als Problem-Regionen gelten das Ruhrgebiet (19,7 Prozent) und der Großraum Köln-Düsseldorf (16,8 Prozent), wo die Zahl der Armen besonders schnell anstieg. Nur in Sachsen-Anhalt und Brandenburg ist die Armuts-Quote gesunken. Der Abstand zwischen der am wenigsten und der am meisten von Armut betroffenen Region betrug 2006 noch 17,8 Prozent und erreichte 24,8 Prozent im Jahr 2013. Am geringsten ist die Armuts-Quote in den Bundesländern Bayern mit 11,3 und Baden-Württemberg mit 11,4 Prozent - aber auch dort ist sie in den vergangenen Jahren gestiegen.
"Armut und regionale Ungleichheit sind in erster Linie hausgemacht und das Ergebnis politischer Unterlassungen," kritisiert Schneider. Der Verband fordert ein umfassendes Maßnahmenbündel zur Armutsbekämpfung. Neben einer deutlichen Erhöhung der Hartz-IV-Regelsätze seien insbesondere Reformen des Familienlastenausgleichs und der Altersgrundsicherung erforderlich, um Armut wirksam vorzubeugen. Voraussetzung dazu sei ein rigoroser steuerpolitischer Kurswechsel, der große Vermögen und Einkommen stärker als bisher zur Finanzierung des Sozialstaats heranzieht, so der Verband.
Begriffs-Erläuterung:
Als arm gilt nach Definition der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), wer weniger als 60 Prozent des Median-Einkommens zur Verfügung hat. Das Median-Einkommen markiert den Betrag, der exakt zwischen den oberen und unteren 50 Prozent der Verteilungs-Skala liegt. Die Armutsgrenze ist also nicht an einen festen Betrag in Euro gekoppelt, sondern wird relativ zum mittleren Einkommen in dem betreffenden Staat ermittelt. Als arm gelten in Deutschland daher etwa Alleinstehende, die monatlich weniger als 979 Euro netto zur Verfügung haben. Nicht berücksichtigt sind hierbei die extremen Unterschiede bei den Mieten in verschiedenen Städten Deutschlands (Siehe hierzu unseren Artikel v. 22.07.13).
Anmerkungen
Siehe auch unsere Artikel:
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zwischen Arm und Reich (23.06.10)
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