4.05.2017

Greenpeace prangert tierschutzwidrige
Schweinehaltung an

Wohlfühl-Schweinchen - Collage: Samy - Creative-Commons-Lizenz Namensnennung Nicht-Kommerziell 3.0
Die konventionelle Schweinehaltung in Deutschland verstößt gegen das Tierschutzgesetz. Zu diesem Ergebnis kommt ein Rechtsgutachten, das die Umwelt-Organisation Greenpeace in Auftrag gab. Einem 110 Kilogramm schweren Mastschwein stehen weniger als ein Quadratmeter Fläche zu.

Im Jahr 2015 exportierte Deutschland 2,9 Millionen Tonnen Schweinefleisch. Dies ist ungefähr dieselbe Menge Schweinefleisch, wie in diesem Jahr auf deutschen Tellern landete. Dementsprechend wurden hierzulande doppelt so viele Schweine gemästet, wie für die Deckung der inländischen Nachfrage nötig wäre. Der Anteil von Schweinefleisch aus der Bio-Landwirtschaft beträgt hierbei nur rund 2 Prozent.

KundInnen im Supermarkt haben kaum eine Chance, zu erkenne wie das Schwein gehalten wurde, dessen Fleisch sie kaufen. Greenpeace liegt aktuelles Film- und Fotomaterial aus deutschen Ställen vor. Es zeigt Schweine, die auf engstem Raum zentimetertief im eigenen Kot stehen und ohne ausreichend Tageslicht und Beschäftigungs­möglichkeiten vor sich hin vegetieren. Sie hocken im Hundesitz – ein Ausdruck der Trauer; zum Teil haben sie blutige Verletzungen. Damit wurden Praktiken dokumentiert, die durch die deutsche Nutztierhaltungsverordnung legalisiert werden.

Die konventionelle Schweinehaltung in Deutschland verstößt laut Greenpeace gegen Tierschutzgesetz und Verfassung. "Tag für Tag wird das Recht gebrochen," so Greenpeace. Theoretisch ist vom Tierschutzgesetz vorgegeben, daß die "natürlichen Verhaltensweisen" eines Tieres die Grundlage dafür sein sollen, wie HalterInnen mit ihren Tieren umzugehen haben. Die Tiere müßten demnach artgemäß ernährt, gepflegt und untergebracht werden. Eine Einschränkung der Bewegung darf - theoretisch - nicht zu Schmerzen oder vermeidbarem Leiden führen.

Die Realität in über 90 Prozent der deutschen Ställe steht jedoch in krassem Gegensatz zum Tierschutzgesetz. Die Nutztierhaltungs­verordnung läßt schlechte Tierhaltung zu, obwohl sie eigentlich das Tierschutzgesetz umsetzen soll.

Schweine sind von Natur aus neugierig und umtriebig – schließlich ist der Rüssel zum Herumschnüffeln da. Bis zu acht Stunden täglich verbringt das – entgegen gängiger Klischees – eher reinliche Borstenvieh mit seiner Lieblingsbeschäftigung: der Suche nach Nahrung in Laub und Erde. Wenn es denn die Möglichkeit hierzu hat.

Statt acht Stunden Wühlen, um Pilze, Wurzeln und Würmer aufzustöbern, bekommen die meisten Schweine zweimal täglich Futter vor die Nase gekippt – vertilgen dieses in wenigen Minuten im gierigen Streit mit dicht stehenden Nachbarn. Jenseits des Fressens ist das Schweineleben öde. Das ist oft auch so gewollt - nehmen die Tiere doch am schnellsten zu, wenn sie sich wenig bewegen. Spielen oder Rennen würde die Futterkosten nach oben treiben und die Fleischzunahme senken. In den üblichen Buchten mit Voll- oder Teilspaltenspaltenböden kann das Schwein seinen arttypischen Bedürfnissen nicht nachgehen: Auf Beton kann man nicht herumwühlen.

Die konventionelle Schweinehaltung führt zu schwerwiegenden Verhaltensstörungen: Die als intelligent geltenden Tiere sitzen apathisch herum oder werden aggressiv. Statt aber die Tiere besser zu halten, wird ihnen betäubungslos der Ringelschwanz gekürzt, der oft Ziel von Beißattacken ist. Ein 110 Kilogramm schweres Mastschwein muß laut Verordnung mit 0,75 Quadratmetern auskommen. Auch dringend benötigte Abkühlungsmöglichkeiten fehlen: Schweine schwitzen nicht - ab einer Temperatur von 20 Grad leiden die Tiere. Sie benötigen Wasser oder Schlamm, um sich abzukühlen.

Das Auseinanderklaffen von Tierschutzgesetz und Nutztierhaltungs­verordnung ist mit einem Wort zu erklären: Profit. In Deutschland ist die Tierhaltung deutlich laxer geregelt als in Nachbarländern wie Dänemark, Schweden, der Schweiz und Österreich. Und dies bietet den deutschen SchweinehalterInnen einen enormen Konkurrenzvorsprung und erklärt die entsprechenden Export-Zahlen.

Im Auftrag von Greenpeace haben sich die Rechtsanwälte Dr. Davina Bruhn und Dr. Ulrich Wollenteit alle Bereiche des Schweinelebens angeschaut. Egal ob Ernährung, Pflege, Unterbringung oder Bewegung: Die angeborenen Verhaltensweisen werden massiv eingeschränkt. "Die Tiere werden der Haltung angepaßt statt die Haltung den Bedürfnissen der Tiere anzupassen," sagt Töwe.

"Landwirtschaftsminister Christian Schmidt muß die unrechtmäßigen Zustände in deutschen Schweineställen zügig ändern," fordert Töwe. "Das von ihm angekündigte staatliche Tierwohllabel würde nur für einige Tiere die Situation verbessern und reicht in der Eingangsstufe nicht aus, um die Anforderungen des Tierschutzgesetzes zu erfüllen. Gleiches gilt übrigens auch für die Initiative Tierwohl des Lebensmittelhandels. Nur eine deutliche gesetzliche Verschärfung der Haltungsverordnung kann hier Abhilfe schaffen."

Nach Ansicht von Greenpeace benötigen auch die konventionell arbeitenden LandwirtInnen Rechtssicherheit. Wer seinen Schweinen ein besseres Leben mit mehr Platz und adäquaten Haltungsbedingungen bietet, hat deutlich höhere Kosten. Da jedoch der Erlös ebenso gering ist wie bei der Billig-Konkurrenz, bleiben ethisch handelnde LandwirtInnen meist auf der Strecke. Dabei wäre ein Großteil der VerbraucherInnen bereit, mehr Geld für besser produziertes Fleisch und mehr Tierschutz auszugeben. Derzeit haben VerbraucherInnen keine Chance, zu erkennen, aus welcher Stallhaltung Schweinefleisch kommt - wenn es nicht Bioland- oder Neuland-Fleisch ist.

 

 

Anmerkungen

Siehe auch unsere Artikel:

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      US-Landwirtschaft benötigte 145.000 Tonnen mehr (18.11.09)

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      Immer weniger Schweinswale (28.01.09)

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