Nach der Veröffentlichung vom vergangenen Mittwoch legt Wikileaks nun Geheim-Dokumente vor, wonach auch die deutsche Regierung vom US-Geheimdienst NSA bespitzelt wurde.
Wer sich anhand der politischen Entscheidungen der - lediglich verschieden gefärbten - bundesdeutschen Regierungen nach 1945 und etwa der Praxis der systematischen Verletzung des Briefgeheimnisses (Siehe unseren Artikel v. 27.06.09) bewußt war, daß es sich bei der BRD um einen Satelliten-Staat der USA handelt, dürfte über die neuen Enthüllungen durch Wikileaks nicht sonderlich überrascht sein. Eher mußte bislang davon ausgegangen werden, daß die deutsche Regierung von sämtlicher Korrespondenz routinemäßig ein Doppel in die USA sendet.
Doch nach den nun von Wikileaks veröffentlichten Geheim-Dokumenten zu urteilen, mußte sich der US-Geheimdienst NSA die Mühe machen, Telefon-Anschlüsse bundesdeutscher Ministerien anzuzapfen. So zeigen diese Dokumente beispielsweise auf, daß Bundeskanzlerin Angela Merkel schon am 11. Oktober 2011 am Telefon sagte, Griechenland sei nach ihrer Einschätzung nicht in der Lage, jemals die Schulden zurückzuzahlen.
Doch die jetzt zutage gekommenen Schwerpunkte der NSA-Bespitzelung deuten darauf hin, daß besonders die deutsche Währungs- und Handelspolitik von Interesse war. Dies deckt sich mit einer Äußerung des früheren CIA-Chefs R. James Woolsey, der die Notwendigkeit der Wirtschaftsspionage zulasten der deutschen Industrie damit rechtfertigte, daß diese nötig sei, weil die Europäer potentielle Abnehmerstaaten bestechen. Auf dem freien Markt sei die US-Technologie zweifellos weitaus überlegen. Er sagte dies ganz offen in einem Interview mit dem 'Wall Street Journal' am 17. März 2000.
Wikileaks ist diesmal anscheinend ein ganz dicker Fisch ins Netz gegangen: neben einer Überwachungsliste veröffentlichte die Enthüllungs-Plattform, die unter anderem von Julian Assange gegründet worden war, streng geheime Abhör-Protokolle der NSA, deren Kürzel zu Beginn des Textes unter anderem bedeuten: TS = top secret - also: streng geheim, SI-G = Special Intelligence - Gamma (eine sehr hohe Geheimhaltungsstufe) und REL TO USA, FVEY = Freigabe für die Geheimdienste der USA und der Five-Eyes-Partner-Staaten Großbritannien, Kanada, Australien und Neuseeland.
Die veröffentlichte Überwachungsliste enthält 69 Festnetz-Telefon-Nummern von deutschen MinisterInnen- und StaatssekretärInnen. Details lassen darauf schließen, daß die Bespitzelung auch in den 1990er-Jahren erfolgte. So ist etwa unter der Abkürzung "Finance Min Lafont" die Bonner Büro-Nummer des Finanzministers Oskar Lafontaine zu finden, der unter dieser Nummer in den Jahren 1998 und 1999 zu erreichen war.
Die alte Bonner Nummer von Lafontaine ist bis heute in Betrieb. Wer dort anruft, landet im Vorzimmer von Finanzminister Wolfgang Schäuble. Auch der Name des früheren Wirtschaftsministers Werner Müller, der von 1998 bis 2002 im Amt war, steht auf der Liste. Ein kleiner Teil der verzeichneten Telefon- und Fax-Nummern ist veraltet - einzelne Durchwahl-Nummern sind nicht mehr aktuell. Die Liste stammt offenbar aus der Zeit zwischen 2010 und 2012. Es wäre allerdings naiv, anzunehmen, daß die Bespitzelung durch die NSA im Jahre 2012 eingestellt wurde. Ein großer Teil dieser 69 Telefon-Nummern soll auch auf der Liste der sogenannten Selektoren stehen, die von der NSA an die Geheimdienste von Satelliten-Staaten wie etwa den BND weiterreichte.
Ebenso wie die von Wikileaks am vergangenen Mittwoch veröffentlichten Geheim-Dokumente stammen die nun veröffentlichten offenbar nicht aus dem Fundus des Whistleblowers Edward Snowden. Auffallend ist, daß die veröffentlichte Liste ausschließlich Festnetz-Nummern enthält. Es erhebt sich auch die Frage, mit welchen Mitteln die NSA an die darüber geführten Telefongespräche gelangte. Bislang hieß es in den Mainstream-Medien immer, die Kommunikation der Bundesregierung sei abhör-sicher. Dabei ist seit langem bekannt, daß der "schwarze" Bundeskanzler Helmut Kohl (1982 - 1998) durchaus wußte, wie er die geheimdienstliche Telefon-Überwachung - damals noch - umgehen konnte: Er ließ sich von seinem Fahrer Eckhard Seeber etwas Kleingeld geben und wies diesen an, die nächstbeste Telefonzelle anzusteuern. Sein Auto-Telefon oder das im Kanzleramt benutzte Kohl nur für Unwichtiges (Siehe unseren Artikel v. 15.07.14).
Anmerkungen
Siehe auch unsere Artikel:
Wikileaks enthüllt:
Französische Präsidenten abgehört (24.06.15)
"S"PD stimmt für Vorratsdatenspeicherung
Gabriel und Maas setzen sich durch (20.06.15)
Maas hat VDS-Gesetz vermasselt
Mängelrügen von vielen Seiten (10.06.15)
Angriff auf Kaspersky-Lab
Anti-Viren-Firma berichtet über Infektion (10.06.15)
Neues Geheimdienst-Gesetz in Frankreich
Auf dem Weg in den Überwachungsstaat (3.05.15)
NSA/BND: Europäischer Spionage-Skandal
Merkel wußte Bescheid (1.05.15)
BND betrieb Wirtschaftsspionage
als Zulieferer der NSA (23.04.15)
Bespitzelung bis ins Kinderzimmer
BigBrotherAward für die "Daten-Kraken" (17.04.15)
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Ein Interview mit Edward Snowden (7.04.15)
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Streiten Maas und de Maizière? (24.03.15)
Justizminister Maas fällt um
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Vorratsdatenspeicherung
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Schwedische Justiz jetzt nachgiebig (13.03.15)
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