Die Zahl der Tiger in Indien ist nach amtlichen Angaben deutlich gestiegen. Die indische Regierung wertet dies als Erfolg des Artenschutzes. Allerdings kritisierten Menschenrechts-Organisationen bei Umsiedlungs-Aktionen gravierende Verstöße gegen Angehörige der Baiga.
Die Zahl der Tiger in Indien ist in den vergangenen Jahren um fast ein Drittel gestiegen. 2.226 Tiger seien bei der jüngsten Bestandsaufnahme gezählt worden, sagte der indische Umweltschutzminister Prakash Javadekar am heutigen Dienstag in Neu-Delhi. Vier Jahre zuvor seien es nur 1.700 Exemplare gewesen. "Das ist eine großartige Leistung," sagte Javadekar. Nach seinen Angaben leben in Indien rund 70 Prozent der weltweiten Tiger-Population.
Noch vor einem Jahrhundert gab es Schätzungen zufolge rund 100.000 Exemplare der von Umweltschutz-Organisationen als "Leuchtturm-Spezies des weltweiten Artenschutzes" bezeichneten Art. Wildtierjagd und der internationale Handel etwa mit Tiger-Knochen reduzierte die Zahl der Tiger in den vergangenen hundert Jahren um 97 Prozent. 2006 streiften laut offiziellem Bestandsregister nur noch 1.411 Tiger durch Indien.
In den vergangenen Jahren zeigte die indische Regierung mehr Interesse am Artenschutz und ging hart gegen Wilderer vor. Außerdem schuf sie strenge Regeln für die Tiger-Schutzgebiete und nahm Umsiedlungs-Aktionen vor. Seit 2012 konnte zum dritten mal in Folge ein positiver Bestandstrend beim Tiger verzeichnet werden. VertreterInnen von Tierschutz-Organisationen halten die nun stabile oder sogar ansteigende Population für einen großen Erfolg - gerade angesichts der hohen Bevölkerungsdichte in Indien.
In diesem Zusammenhang ist nun auch die Rede davon, es sei gelungen, "den Menschen vor Ort eine Perspektive" zu geben. Dies muß allerdings leider bezweifelt werden. Offenbar schauen große Umweltschutz-Organisationen hier nicht genauer hin - oder schlimmer noch: sie schauen bewußt weg.
Nach einem Bericht der Menschenrechts-Organisation 'Survival International' wurden Indigene im indischen Kanha-Tiger-Schutzgebiet aus ihrer Heimat vertrieben. Auch die ihnen nach indischem Recht zustehende Entschädigung wurde ihnen verwehrt.
Das Kanha-Tiger-Schutzgebiet - fiktiver Ort der Erzählung um Mowgli und den bösen Tiger Shir Khan aus dem "Dschungelbuch" des britischen Autors Rudyard Kipling - ist heute der Ort der Vertreibung von Angehörigen der Baiga. Diese indigene Volksgruppe lebt dort seit Urzeiten in den Wäldern.
Baiga-Familien wurden lauf 'Survival International' eingeschüchtert, damit sie das Schutzgebiet verlassen. Sie berichteten, daß ihnen die indische Forstbehörde angedrohte, Elefanten loszulassen, um ihre Häuser und Felder zu zertrampeln. Im Sommer 2014 wurde ihnen weder Land zugewiesen, noch wurde ihnen Hilfe beim Aufbau eines neuen Lebens außerhalb von Kanha zuteil. Monate nach den Vertreibungen berichten Baiga-Familien, daß sie nur einen Bruchteil der ihnen zustehenden Entschädigung erhalten haben – andere seien völlig leer ausgegangen. Ein Baiga erklärte vor den Vertreibungen gegenüber 'Survival International': "Sie wollen uns Geld geben. Wir wollen kein Geld. Wir wollen Land. Geld bedeutet für uns nichts."
Bei einer ähnlichen Vertreibung im Dezember 2013 wurden 32 Khadia-Familien aus dem Tiger-Schutzgebiet Similipal im Bundesstaat Odisha vertrieben. Sie mußten unter Plastikplanen hausen und haben bis heute weder die versprochene Entschädigung noch alternatives Land zum Siedeln erhalten. Indisches und internationales Recht schreiben vor, daß die Behörden zuerst nachweisen müssen, daß von Umsiedlungs-Plänen Betroffene ihre freie, vorherige und informierte Zustimmung zur Umsiedlung gegeben haben.
Romantische Vorstellungen von einer Rückkehr der Baiga-Familien in die Tiger-Schutzgebiet dienen jedoch letztlich mehr der indischen Regierung als den Betroffenen. Die indische Regierung hat sich übrigens vor allem deshalb auf den Tiger-Schutz besonnen, weil sie so zahlungskräftige TouristInnen anlocken kann, die zu Tausenden in lauten Jeeps durch die eingezäunten Gebiete gefahren werden.
Anmerkungen
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